254 Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
Meine Antwort lautet:
„Paris, Pfingsten 1) 62.
Lieber Roon
Ich habe Ihren Brief durch Stein (damals Militär-Bevoll-
mächtigter) richtig erhalten, offenbar unerbrochen, denn ich konnte
ihn ohne theilweise Zerstörung nicht öffnen. Sie können versichert
sein, daß ich durchaus keine Gegenzüge und Manövers mache;
wenn ich nicht aus allen Anzeichen ersähe, daß Bernstorff garnicht
daran denkt auszuscheiden, so würde ich mit Gewißheit erwarten,
daß ich in wenig Tagen Paris verließe, um über London nach
Berlin zu gehn, und ich würde keinen Finger rühren, um dem
entgegenzuarbeiten. Ich rühre auch so keinen; aber ich kann doch
auch nicht den König mahnen, mir Bernstorffs Stelle zu geben,
und wenn ich ohne Portefeuille einträte, so hätten wir, Schleinitz
eingerechnet, drei auswärtige Minister, von denen jeder Verant-
wortung gegenüber der eine sich stündlich in's Hausministerium,
der andre nach London zurückzuziehn bereit ist. Mit Ihnen weiß
ich mich einig, mit Jagow glaube ich es werden zu können, die
Fachministerien würden mir nicht Anstoß geben; über auswärtige
Dinge aber habe ich ziemlich bestimmte Ansichten; Bernstorff vielleicht
auch, aber ich kenne sie nicht, und vermag mich in seine Methode
und seine Formen nicht einzuleben, ich habe auch kein Vertrauen
zu seinem richtigen Augenmaß für die politischen Dinge, er also
vermuthlich zu dem meinigen auch nicht. So sehr lange kann
die Ungewißheit übrigens nicht mehr dauern; ich warte bis nach
dem 11., ob der König bei der Auffassung vom 26. v. M. )„ bleibt
oder sich anderweit versorgt. Geschieht bis dahin nichts, so schreibe
ich Sr. M. in der Voraussetzung, daß mein hiesiges Verhältniß
definitiv wird, und ich meine häuslichen Einrichtungen danach treffe,
1) 8. bez. 9. Juni, Bismarckbriefe (7. Aufl.) 339 f., Roon's Denkwürdig-
keiten II/ 95 ff.
:) Tag der letzten Audienz auf Schloß Babelsberg vor der Abreise
nach Paris.