Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Berufung nach Berlin. In Babelsberg. 267 
Herbst noch immer nicht wußte, wo ich im Winter wohnen würde. 
Ich war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht so vertraut, 
daß ich dem Kronprinzen ein programmartiges Urtheil hätte abgeben 
können; außerdem hielt ich mich auch nicht für berechtigt, mich 
gegen ihn früher zu äußern als gegen den König. Den Eindruck, 
den die Thatsache meiner Audienz gemacht hatte, ersah ich zunächst 
aus der Mittheilung Roons, daß der König mit Bezug auf mich 
zu ihm gesagt habe: „Mit dem ist es auch nichts, er ist ja schon 
bei meinem Sohne gewesen.“ Die Tragweite dieser Aeußerung wurde 
mir nicht sofort verständlich, weil ich nicht wußte, daß der König 
sich mit dem Gedanken der Abdication trug und voraussetzte, daß 
ich davon gewußt oder etwas vermuthet hätte und mich deshalb 
mit seinem Nachfolger zu stellen gesucht habe. 
In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des Königs 
fremd, als ich am 22. September in Babelsberg empfangen wurde, 
und die Situation wurde mir erst klar, als Se. Majestät sie un— 
gefähr mit den Worten präcisirte: „Ich will nicht regiren, wenn 
ich es nicht so vermag, wie ich es vor Gott, meinem Gewissen 
und meinen Unterthanen verantworten kann. Das kann ich aber 
nicht, wenn ich nach dem Willen der heutigen Majorität des Land- 
tags regiren soll, und ich finde keine Minister mehr, die bereit 
wären, meine Regirung zu führen, ohne sich und mich der parla— 
mentarischen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich deshalb 
entschlossen, die Regirung niederzulegen, und meine Abdications- 
urkunde, durch die angeführten Gründe motivirt, bereits entworfen.“ 
Der König zeigte mir das auf dem Tische liegende Actenstück in 
seiner Handschrift, ob bereits vollzogen oder nicht, weiß ich nicht. 
Se. Majestät schloß, indem er wiederholte, ohne geeignete Minister 
könne er nicht regiren. 
Ich erwiderte, es sei Sr. Majestät schon seit dem Mai be- 
kannt, daß ich bereit sei, in das Ministerium einzutreten, ich sei 
gewiß, daß Roon mit mir bei ihm bleiben werde, und ich zweifelte 
nicht, daß die weitre Vervollständigung des Cabinets gelingen werde,
	        
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