296 Dreizehntes Kapitel: Dynastien und Stämme.
märker bei Salzwedel von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen
bei Lüchow, in Moor und Haide dem Auge unerkennbar, trennt,
doch den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden Niedersachsen an
zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völkerrechtliche
Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und das andre
früher von London, später von Hanover regirt wurde, das eine
Augen rechts nach Osten, das andre Augen links nach Westen bereit
stand, und daß friedliche und gleichartige, im Connubium verkehrende
Bauern dieser Gegend, der eine für welfisch-habsburgische, der andre
für hohenzollernsche Interessen auf einander schießen sollten. Daß
dieß überhaupt möglich war, beweist die Tiefe und Gewalt des Ein—
flusses dynastischer Anhänglichkeit auf den Deutschen. Daß die Dyna-
stien jederzeit stärker geblieben sind als Presse und Parlamente,
hat sich durch die Thatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer,
deren Dynastien im Bereich des östreichischen Einflusses lagen, ohne
Rücksicht auf nationale Bestrebungen mit Oestreich, und nur solche,
welche „unter den preußischen Kanonen“ lagen, mit Preußen gingen.
Von den letztern machten allerdings Hanover, Hessen und Nassan
Ausnahmen, weil sie Oestreich für stark genug hielten, um alle
Zumuthungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie haben
infolge dessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige
Wilhelm die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen, an
der Spitze des Norddeutschen Bundes, einer Vergrößerung seines
Gebietes kaum bedürfen würde. Gewiß aber ist, daß auch 1866
die materielle Macht der Bundesstaaten den Dynastien und nicht
den Parlamenten folgte, und daß sächsisches, hanöversches und
hessisches Blut nicht für die deutsche Einheit, sondern dagegen ver-
gossen ist.
Die Dynastien bildeten überall den Punkt, um den der deutsche
Trieb nach Sonderung in engern Verbänden seine Krystalle ansetzte.