Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

298 Vierzehntes Kapitel: Conflicts-Ministerium. 
ergab sich das wunderliche Verhältniß, daß Herr von Bodelschwingh, 
der nach seiner persönlichen Stellung die äußerste Rechte unter 
uns Ministern bildete, in der Regel mit seinem Votum die äußerste 
Linke einnahm. 
Ebenso war der Handelsminister Graf Itzenplitz nicht im 
Stande, das Steuer seines überladenen ministeriellen Fahrzeugs 
selbständig zu führen, sondern trieb in der Strömung, welche 
seine Untergebenen ihm herstellten. Wenn es vielleicht unmöglich 
war, für die mannichfaltigen Verzweigungen des damaligen Handels- 
ministeriums einen Chef zu finden, der in allen ihm unterstellten 
Disciplinen zur Führung seiner Untergebenen befähigt gewesen 
wäre, so stand der Graf Itzenplitz den von ihm zu lösenden Auf- 
gaben viel fremder gegenüber, als z. B. von der Heydt, und ver- 
fiel ziemlich hülflos der in technischen Fragen sachkundigen Leitung 
der Decernenten, namentlich Delbrücks. Außerdem war er eine 
weiche Natur, ohne die zur Leitung eines so großen Ressorts. 
nöthige Energie; selbst den Unredlichkeiten gegenüber, die da- 
mals einzelnen hervorragenden Mitarbeitern des Handelsministe- 
riums schuldgegeben wurden und die den persönlich ehrliebenden 
Chef auf's Hôchste beunruhigten, wurde ihm das Einschreiten sehr 
schwer, weil die technische Leistung der ihm selbst verdächtigen Be- 
amten ihm unentbehrlich schien. Unterstützung meiner Politik hatte 
ich persönlich von den in Rede stehenden beiden Collegen nicht zu 
erwarten, weder nach ihrem Verständniß für dieselbe, noch nach 
dem Maß von Wohlwollen, welches sie für mich als jüngern 
und ursprünglich dem Geschäft nicht angehörigen Präsidenten übrig 
hatten. · 
Als Minister des Innern fand ich Herrn von Jagow vor, 
der durch die Lebhaftigkeit seines Tones, seinen Wortreichthum und 
die rechthaberische Färbung seiner Discussion sich binnen Kurzem 
die Abneigung seiner Collegen in dem Grade zuzog, daß er durch 
den Grafen Friedrich Eulenburg ersetzt werden mußte. Charak- 
teristisch für ihn ist ein Erlebniß, das wir mit ihm hatten, nach-
	        
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