336 Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürstentag.
daß, wenn der sechsundsechziger Krieg schon 1850 geführt worden
wäre, unsre Aussichten bedenklich gewesen sein würden. Mit
unsrer Schüchternheit noch in den sechziger Jahren zu rechnen,
war ein Irrthum, bei welchem der Thronwechsel außer Ansatz
geblieben war.
Friedrich Wilhelm IV. hätte sich zu Mobilmachungen wohl
ebenso leicht entschlossen wie 1850 und wie sein Nachfolger 1859,
aber schwer zur Kriegführung. Unter ihm lag die Gefahr vor,
daß ähnliche Tergiversationen wie unter Haugwitz 1805 uns in
falsche Lagen gebracht haben würden; auch nach wirklichem Bruch
würde man in Oestreich über unfre Unklarheiten und Vermittlungs-
versuche mit Entschlossenheit zur Tagesordnung übergegangen sein.
Bei dem König Wilhelm war die Abneigung, init den väterlichen
Traditionen und den herkömmlichen Familienbeziehungen zu brechen,
ebenso stark wie bei seinem Bruder, aber wenn er einmal unter
der Leitung seines Ehrgefühls, dessen Empfindlichkeit ebenso in dem
preußischen Porte-épée als im monarchischen Bewußtsein lag, zu
Entschlüssen, die seinem Herzen schwer wurden, sich gezwungen gefühlt
hatte, so war man sicher, wenn man ihm folgte, in keiner Gefahr
von ihm im Stiche gelassen zu werden. Mit diesem Wechsel in
dem Charakter der obersten Leitung wurde in Wien zu wenig ge-
rechnet und zu viel mit dem Einfluß, den man durch die an-
gebliche öffentliche Meinung, wie sie durch Preß-Agenten und Sub-
sidien erzeugt wurde, auf Berliner Entschließungen früher hatte
ausüben können, und durch Vermittlung fürstlicher Verwandten
und Correspondenzen des königlichen Hauses auch ferner auszuüben
bereit und im Stande war.
Zudem überschätzte man in Wien die abschwächende Wirkung,
welche unser innerer Conflict auf unfre auswärtige Politik und
militärische Leistungsfähigkeit haben konnte. Die Abneigung gegen
die Lösung des gordischen Knotens der deutschen Politik durch das
Schwert war in weiten Kreisen eine starke, wie 1866 mannigfache
Symptome, von dem Blind'schen Attentat und dessen Beurtheilung