Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Briefwechsel mit Ludwig von Baiern. 365 
Unter diesen Umständen fehlt dem römischen Stuhl die Möglich- 
keit, uns für die Concessionen, die er von uns verlangt, ein Aequi- 
valent zu bieten, namentlich da er über den Einfluß der Jesuiten 
auf deutsche Verhältnisse gegenwärtig nicht verfügt. Die Macht- 
losigkeit des Papstes ohne diesen Beistand hat sich besonders bei 
den Nachwahlen erkennen lassen, wo die katholischen Stimmen, 
gegen den Willen des Papstes, für socialistische Candidaten ab- 
gegeben wurden, und der Dr. Moufang in Mainz öffentlich Ver- 
pflichtungen in dieser Beziehung einging. Die hiesigen Verhand- 
lungen mit dem Nuntius können das Stadium der gegenseitigen 
Recognoseirung nicht überschreiten; sie haben mir die Ueberzeugung 
gewährt, daß ein Abschluß noch nicht möglich ist; ich glaube aber 
vermeiden zu sollen, daß sie gänzlich abreißen, und dasselbe scheint 
der Nuntius zu wünschen. In Rom hält man uns offenbar für 
hülfsbedürftiger, als wir sind, und überschätzt den Beistand, den 
man uns, bei dem besten Willen, im Parlamente zu leisten ver- 
mag. Die Wahlen zum Reichstage haben den Schwerpunkt des 
letztern weiter nach rechts geschoben, als man annahm. Das Ueber- 
gewicht der Liberalen ist vermindert, und zwar in höherm Maße, 
als die Ziffern es erscheinen lassen. Ich war bei Beantragung der 
Auflösung nicht im Zweifel, daß die Wähler regirungsfreundlicher 
sind als die Abgeordneten, und die Folge davon ist gewesen, daß 
viele Abgeordnete, welche ungeachtet ihrer oppositionellen Haltung 
wiedergewählt wurden, dies nur durch Zusagen zu Gunsten der 
Regirung erreichen konnten. Wenn sie diese Zusagen nicht halten, 
und eine neue Auflösung folgen sollte, so werden sie nicht mehr 
Glauben bei den Wählern finden und nicht wieder gewählt werden. 
Die Folge der gelockerten Beziehungen zu den liberalen und centrali- 
stischen Abgeordneten wird, meines ehrfurchtsvollen Dafürhaltens, 
ein festeres Zusammenhalten der verbündeten Regirungen unter 
einander sein. Das Anwachsen der socialdemokratischen Gefahr, 
die jährliche Vermehrung der bedrohlichen Näuberbande, mit der 
wir gemeinsam unsre größern Städte bewohnen, die Versagung
	        
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