Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

366 Achtzehntes Kapitel: König Ludwig II. von Baiern. 
der Unterstützung gegen diese Gefahr von Seiten der Mehrheit 
des Reichstags, drängt schließlich den deutschen Fürsten, ihren Re- 
girungen und allen Anhängern der staatlichen Ordnung eine 
Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner 
und der Presse nicht gewachsen sein wird, so lange die Regirungen 
einig und entschlossen bleiben, wie sie es gegenwärtig sind. Der 
Zweck des Deutschen Reiches ist der Rechtsschutz; die parlamentarische 
Thätigkeit ist bei Stiftung des bestehenden Bundes der Fürsten 
und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber 
nicht als Selbstzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Ver- 
halten des Reichstags die verbündeten Regirungen der Noth- 
wendigkeit überheben wird, die Conscquenzen dieser Rechtslage 
jemals praktisch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die 
Mehrheit des jetzt gewählten Reichstags schon der richtige Aus- 
druck der zweifellos loyal und monarchisch gesinnten Mehrheit der 
deutschen Wähler sein werde. Sollte es nicht der Fall sein, so 
tritt die Frage einer neuen Auflösung in die Tagesordnung. Ich 
glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entscheidung 
darüber schon in diesem Herbst eintreten könne. Bei einem neuen 
Appell an die Wähler wird die wirthschaftliche und finanzielle 
Reformfrage ein Bundesgenosse für die verbündeten Regirungen 
sein, sobald sie im Volke richtig verstanden sein wird; dazu aber 
ist ihre Discussion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Winter- 
session stattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch 
indirecte Steuern ist in allen Bundesstaaten fühlbar, und von deren 
Ministern in Heidelberg einstimmig anerkannt worden. Der Wider- 
spruch der parlamentarischen Theoretiker dagegen hat in der pro- 
ductiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang. 
Eure Mojestät bitte ich unterthänigst, diese kurze Skizze der 
Situation mit huldreicher Nachsicht aufnehmen und mir Allerhöchst- 
dero Gnade ferner erhalten zu wollen. 
v. Bismarck.
	        
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