Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Schreiben an eine Magdeburger Zeitung. 33 
habe ebenfalls in der vorigen Woche den mir benachbarten Ge— 
meinden erklärt, daß ich den König in Berlin nicht für frei hielte, 
und dieselben zur Absendung einer Deputation an die geeignete 
Stelle aufgefordert, ohne daß ich mir deshalb die selbstsüchtigen 
Motive, welche Ihr Correspondent anführt, unterschieben lassen 
möchte. Es ist 1) sehr erklärlich, daß jemand, dem alle mit der 
Person des Königs nach dem Abzug der Truppen vorgegangenen 
Ereignisse bekannt waren, die Meinung fassen konnte, der König 
sei nicht Herr, zu thun und zu lassen, was er wollte; 2) halte 
ich jeden Bürger eines freien Staates für berechtigt, seine Mei- 
nung gegen seine Mitbürger selbst dann zu äußern, wenn sie der 
augenblicklichen öffentlichen Meinung widerspricht: ja nach den 
neusten Vorgängen möchte es schwer sein, jemand das Recht 
zu bestreiten, seine politischen Ansichten durch Volksaufregung zu 
unterstützen; 3) wenn alle Handlungen Sr. Majestät in den 
letzten 14 Tagen durchaus freiwillig gewesen sind, was weder Ihr 
Correspondent noch ich mit Sicherheit wissen können, was hätten 
dann die Berliner erkämpft? Dann wäre der Kampf am 18. und 
19. mindestens ein überflüssiger und zweckloser gewesen und alles 
Blutvergießen ohne Veranlassung und ohne Erfolg; 4) glaube 
ich die Gesinnung der großen Mehrzahl der Ritterschaft dahin 
aussprechen zu können, daß in einer Zeit, wo es sich um das 
sociale und politische Fortbestehn Preußens handelt, wo Deutschland 
von Spaltungen in mehr als einer Richtung bedroht ist, wir weder 
Zeit noch Neigung haben, unfre Kräfte an reactionäre Versuche, 
oder an Vertheidigung der unbedeutenden uns bisher verbliebenen 
gutsherrlichen Rechte zu vergeuden, sondern gern bereit sind, diese 
auf Würdigere zu übertragen, indem wir dieses als untergeordnete 
Frage, die Herstellung rechtlicher Ordnung in Deutschland, die Er- 
haltung der Ehre und Unnverletzlichkeit unfres Vaterlandes aber 
als die für jetzt alleinige Aufgabe eines jeden betrachten, dessen 
Blick auf unfre politische Lage nicht durch Parteiansichten ge- 
trübt ist. 
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 3
	        
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