Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Ursache der Mißerfolge Preußens. 55 
vor. Die Neigung, diese Möglichkeit auszunutzen, muß im Gemüthe 
des Königs zurückgetreten sein vor der Besorgniß, dasjenige Maß 
von Wohlwollen in nationaler und liberaler Richtung zu verlieren, 
auf dem die Hoffnung beruhte, daß Preußen ohne Krieg und in 
einer mit legitimistischen Vorstellungen verträglichen Weise das Vor- 
gewicht in Deutschland zufallen würde. 
Diese Hoffnung oder Erwartung, die bis in die „Neue Aera“ 
hinein in Phrasen von dem deutschen Berufe Preußens und von 
moralischen Eroberungen einen schüchternen Ausdruck fand, beruhte 
auf dem doppelten Irrthum, der vom März 1848 bis zum Früh— 
jahr des folgenden Jahres in Sanssouci wie in der Paulskirche 
bestimmend war: einer Unterschätzung der Lebenskraft der deutschen 
Dynastien und ihrer Staaten, und einer Ueberschätzung der Kräfte, 
die man unter dem Wort Barrikade zusammenfassen kann, so daß 
darunter alle die Barrikade vorbereitenden Momente, Agitation 
und Drohung mit dem Straßenkampfe, begriffen sind. Nicht in 
diesem selbst lag die Gefahr des Umsturzes, sondern in der Furcht 
davor. Die mehr oder weniger phäakischen Regirungen waren im 
März, ehe sie den Degen gezogen hatten, geschlagen, theils durch 
die Furcht vor dem Feinde, theils durch die innere Sympathie 
ihrer Beamten mit demselben. Immerhin wäre es für den König 
von Preußen an der Spitze der Fürsten leichter gewesen, durch Aus- 
nutzung des Sieges der Truppen in Berlin ein deutsches Einheits- 
gebilde herzustellen, als es nachher der Paulskirche geworden ist; ob 
die Eigenthümlichkeit des Königs nicht eine solche Herstellung auch 
bei Festhalten dieses Sieges gehindert oder das hergestellte, wie 
Bodelschwingh im März fürchtete, wieder unsicher gemacht haben 
würde, ist allerdings schwer zu beurtheilen. In den Stimmungen 
seiner letzten Lebensjahre, wie sie auch aus den Aufszeichnungen 
Leopolds v. Gerlach und aus andern Quellen ersichtlich sind, steht 
die ursprüngliche Abneigung gegen constitutionelle Einrichtungen, die 
Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines größern Maßes freier 
Bewegung der Königlichen Gewalt, als das in der preußischen Ver-
	        
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