Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

56 Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden. 
fassung gegebene, wieder im Vordergrunde. Der Gedanke, die 
Verfassung durch einen „Königlichen Freibrief“ zu ersetzen, war in 
der letzten Krankheit noch lebendig. 
Die Frankfurter Versammlung, in demselben doppelten Irr- 
thum befangen, behandelte die dynastischen Fragen als über- 
wundenen Standpunkt, und mit der theoretischen Energie, welche 
dem Deutschen eigen ist, auch in Betreff Preußens und Oestreichs. 
Diejenigen Abgeordneten, welche in Frankfurt über die Stimmung 
der preußischen Provinzen und der deutsch-östreichischen Länder 
kundige Auskunft geben konnten, waren zum Theil interessirt bei 
der Verschweigung der Wahrheit; die Versammlung täuschte sich, 
ehrlich oder unehrlich, über die Thatsache, daß im Falle eines Wider- 
spruchs zwischen einem Frankfurter Reichstagsbeschluß und einem 
preußischen Königsbefehl der erstere bei sieben Achtel der preußischen 
Bevölkerung leichter oder garnicht in's Gewicht fiel. Wer damals 
in unsern Ostprovinzen gelebt hat, wird heut noch die Erinnerung 
haben, daß die Frankfurter Verhandlungen bei allen den Elementen, 
in deren Hand die materielle Macht lag, bei allen denen, welche 
in Conflictsfällen Waffen zu führen oder zu befehlen hatten, nicht 
so ernsthaft aufgefaßt wurden, wie es nach der Würde der wissen- 
schaftlichen und parlamentarischen Größen, die dort versammelt 
waren, hätte erwartet werden können. Und nicht nur in Preußen, 
sondern auch in den großen Mittelstaaten hätte damals ein mon- 
archischer Befehl, der die Masse der Fäuste dem Fürsten zu Hülfe 
aufrief, falls er erfolgte, eine ausreichende Wirkung gehabt; nicht 
überall in dem Maße, wie es in Preußen der Fall war, aber doch 
in einem Maße, welches überall dem Bedürfniß materieller Polizei- 
gewalt genügt haben würde, wenn die Fürsten den Muth gehabt 
hätten, Minister anzustellen, die ihre Sache fest und offen ver- 
traten. Es war dies im Sommer 1848 in Preußen nicht der Fall 
gewesen; sobald aber im November der König sich entschloß, Mi- 
nister zu ernennen, welche bereit waren, die Kronrechte ohne Rück- 
sicht auf Parlamentsbeschlüsse zu vertreten, war der ganze Spuk
	        
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