64 Drittes Kapitel: Ersurt, Olmütz, Dresden.
nicht, aber meine Zuversicht ermuthigte ihn doch, und ich glaube
noch heut, daß die Chancen für eine wünschenswerthe Lösung der
damaligen Krisis noch besser geworden wären, wenn vorher die
badische Revolution durch den damals befürchteten Abfall auch
eines Theils der bairischen und würtembergischen Truppen ver-
stärkt worden wäre. Freilich würden sie auch dann vielleicht un-
benutzt geblieben sein.
Ich lasse unentschieden, ob an der Halbheit und Schüchternheit
der damals den ernsten Gefahren gegenüber ergriffenen Maßregeln
nur finanzielle Minister-Aengstlichkeiten oder dynastische Gewissens-
bedenken und Unentschlossenheit an höchster Stelle Schuld waren,
oder ob in amtlichen Kreisen eine ähnliche Sorge mitwirkte wie
die, welche in den Märztagen bei Bodelschwingh und Andern die
richtige Lösung verhinderte, nämlich die Befürchtung, daß der König
in dem Maße, in dem er sich wieder mächtig und sorgenfrei fühlen
würde, auch eine absolutistische Richtung einschlagen könnte. Ich
erinnere mich, diese Besorgniß bei höhern Beamten und in
liberalen Hofkreisen wahrgenommen zu haben.
Unbeantwortet ist die Frage geblieben, ob der Einfluß des
Generals von Radowitz aus katholisirenden Gründen in einer auf
den König wirksamen Gestalt verwendet worden ist, um das
evangelische Preußen an der Wahrnehmung der günstigen Gelegen-
heit zu hindern und den König über dieselbe hinweg zu täuschen.
Ich weiß heut noch nicht, ob er ein katholisirender Gegner Preu-
ßens war oder nur bestrebt, seine Stellung bei dem Könige zu
halten X). Gewiß ist, daß er den geschickten Garderobier der
X) Der General von Gerlach hat im August 1850 niedergeschrieben
(Denkwürdigkeiten I1 514):
„Die Verehrung des Königs für Radowitz beruht auf zwei Dingen:
1) seinem scheinbar scharf logisch-mathematischen Raisonnement, bei dem seine
gedankenlose Indifferenz es ihm möglich macht, jeden Widerspruch mit dem
Könige zu vermeiden. Nun sieht der König in dieser seinem Ideengange ganz
entgegengesetzten Denkart die Probe für das Exempel, was er sich zusammen-