Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Brandenburg für die Erfurter Politik. H. v. Gagern. 67 
eine Verständigung zwischen uns und der Gagern'schen Partei 
anzubahnen. Er that das in der Weise, daß er Gagern und mich 
allein zu Tisch einlud und uns beide, während wir noch bei der 
Flasche saßen, allein ließ, ohne uns eine vermittelnde oder ein- 
leitende Andeutung zu hinterlassen. Gagern wiederholte mir, nur 
minder genau und verständlich, was uns als Programm seiner 
Partei und etwas abgemindert als Regirungsvorlage bekannt war. 
Er sprach, ohne mich anzublicken, schräg weg gegen den Himmel 
sehend. Auf meine Aeußerung, wir royalistische Preußen befürch- 
teten in erster Linie, daß mit dieser Verfassung die monarchische 
Gewalt nicht stark genug bleiben werde, versank er nach der langen 
und declamatorischen Darlegung in ein geringschätziges Schweigen, 
was den Eindruck machte, den man mit Roma locuta est über- 
setzen kann. Als Manteuffel wieder eintrat, hatten wir mehre 
Minuten schweigend gesessen, ich, weil ich Gagern's Erwiderung 
erwartete, er, weil er in der Erinnerung an seine Frankfurter 
Stellung es unter seiner Würde hielt, mit einem preußischen Land- 
junker anders als maßgebend zu verhandeln. Er war eben mehr 
zum parlamentarischen Redner und Präsidenten als zum politischen 
Geschäftsmann veranlagt und hatte sich in das Bewußtsein eines 
Jupiter tonans hineingelebt. Nachdem er sich entfernt hatte, fragte 
Manteuffel mich, was er gesagt habe. „Er hat mir eine Rede 
gehalten, als ob ich eine Volksversammlung wäre,“ antwortete ich. 
Es ist merkwürdig, daß in den beiden Familien, welche da- 
mals in Deutschland und in Preußen den nationalen Liberalismus 
vertraten, Gagern und Auerswald, je drei Brüder vorhanden 
waren, unter denen je ein General, daß diese beiden Generale die 
praktischeren Politiker unter ihren Brüdern waren und beide in 
Folge der revolutionären Bewegungen ermordet wurden, deren 
Entwicklung jeder von ihnen in seinem Wirkungskreise in gutem 
patriotischen Glauben gefördert hatte. Der General von Auers- 
wald, der am 18. September 1848 bei Frankfurt ermordet wurde, 
wie man sagt, weil er für Radowitz gehalten wurde, hatte sich zur
	        
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