Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Französische Unverschämtheit. Rückkehr nach Berlin. 85 
geben eine Demüthigung Deutschlands sah, die ich nicht amtlich ver- 
antworten wollte. Dieser Eindruck der Verletzung des nationalen 
Ehrgefühls durch den aufgezwungenen Rückzug war in mir so 
vorherrschend, daß ich schon entschlossen war, meinen Rücktritt aus 
dem Dienste nach Ems zu melden. Ich hielt diese Demüthigung 
vor Frankreich und seinen renommistischen Kundgebungen für schlim- 
mer als die von Olmütz, zu deren Entschuldigung die gemeinsame 
Vorgeschichte und unser damaliger Mangel an Kriegsbereitschaft 
immer dienen werden. Ich nahm an, Frankreich werde die Ent- 
sagung des Prinzen als einen befriedigenden Erfolg escomptiren 
in dem Gefühl, daß eine kriegerische Drohung, auch wenn sie in 
den Formen internationaler Beleidigung und Verhöhnung geschehn 
und der Kriegsvorwand gegen Preußen vom Zaune gebrochen wäre, 
genüge, um Preußen zum Rückzuge auch in einer gerechten Sache 
zu nöthigen, und daß auch der Norddeutsche Bund in sich nicht das 
hinreichende Machtgefühl trage, um die nationale Ehre und Unab- 
hängigkeit gegen französische Ammaßung zu schützen. Ich war sehr 
niedergeschlagen, denn ich sah kein Mittel, den fressenden Schaden, 
den ich von einer schüchternen Politik für unfre nationale Stellung 
befürchtete, wieder gut zu machen, ohne Händel ungeschickt vom 
Zaune zu brechen und künstlich zu suchen. Den Krieg sah ich schon 
damals als eine Nothwendigkeit an, der wir mit Ehren nicht mehr 
ausweichen konnten. Ich telegraphirte an die Meinigen nach Varzin, 
man sollte nicht packen, nicht abreisen, ich würde in wenig Tagen 
wieder dort sein. Ich glaubte nunmehr an Frieden; da ich aber 
die Haltung nicht vertreten wollte, durch welche dieser Friede erkauft 
gewesen wäre, so gab ich die Reise nach Ems auf und bat Graf 
Eulenburg, dorthin zu reisen und Sr. Majestät meine Auffassung 
vorzutragen. In gleichem Sinne sprach ich auch mit dem Kriegs- 
minister von Roon: wir hätten die französische Ohrfeige weg, und 
wären durch die Nachgiebigkeit in die Lage gebracht, als Händelsucher 
zu erscheinen, wenn wir zum Kriege schritten, durch den allein wir den 
Flecken abwaschen könnten. Meine Stellung sei jetzt unhaltbar und
	        
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