Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

86 Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Emser Depesche. 
das eigentlich schon dadurch geworden, daß der König den fran- 
zösischen Botschafter unter dem Drucke von Drohungen während 
seiner Badecur vier Tage hintereinander in Audienz empfangen 
und seine monarchische Person der unverschämten Bearbeitung 
durch diesen fremden Agenten ohne geschäftlichen Beistand exponirt 
habe. Durch diese Neigung, die Staatsgeschäfte persönlich und 
allein auf sich zu nehmen, war der König in eine Lage gedrängt 
worden, die ich nicht vertreten konnte; meines Erachtens hätte 
Se. Majestät in Ems jede geschäftliche Zumuthung des ihm 
nicht gleichstehenden französischen Unterhändlers ablehnen und ihn 
nach Berlin an die amtliche Stelle verweisen müssen, die dann 
durch Vortrag in Ems oder, wenn man dilatorische Behandlung 
nützlich gefunden, durch schriftlichen Bericht die Entscheidung des 
Königs einzuholen gehabt haben würde. Aber bei dem hohen Herrn, 
so correct er in der Regel die Ressortverhältnisse respectirte, war 
die Neigung, wichtige Fragen persönlich zwar nicht zu entscheiden, 
aber doch zu verhandeln, zu stark, um ihm eine richtige Benutzung 
der Deckung zu ermöglichen, mit der die Majestät gegen Zu- 
dringlichkeiten, unbequeme Fragestellung und Zumuthung zweck- 
mäßiger Weise umgeben ist. Daß der König sich nicht mit dem 
ihm in so großem Maße eignen Gefühle seiner hoheitvollen Würde 
der Benedettischen Aufdringlichkeit von Hause aus entzogen hatte, 
davon lag die Schuld zum großen Theile in dem Einflusse, den 
die Königin von dem benachbarten Coblenz her auf ihn ausübte. 
Er war 73 Jahr alt, friedliebend und abgeneigt, die Lorbeeren 
von 1866 in einem neuen Kampfe auf das Spiel zu setzen; aber 
wenn er vom weiblichen Einflusse frei war, so blieb das Ehrgefühl 
des Erben Friedrichs des Großen und des preußischen Offiziers in 
ihm stets leitend. Gegen die Concurrenz, welche seine Gemalin 
mit ihrer weiblich berechtigten Furchtsamkeit und ihrem Mangel an 
Nationalgefühl machte, wurde die Widerstandsfähigkeit des Königs 
abgeschwächt durch sein ritterliches Gefühl der Frau und durch sein 
monarchisches Gefühl einer Königin und besonders der seinigen
	        
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