Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Moltke als Humorist. Diplomat und Soldat. 93 
sich empfehle, einen Krieg, der uns früher oder später wahrscheinlich 
bevorstand, anticipando herbeizuführen, bevor der Gegner zu besserer 
Rüstung gelange. Ich bin der bejahenden Theorie nicht blos zur 
Luxemburger Zeit, sondern auch später, zwanzig Jahre lang, stets 
entgegengetreten in der Ueberzeugung, daß auch siegreiche Kriege 
nur dann, wenn sie aufgezwungen sind, verantwortet werden können, 
und daß man der Vorsehung nicht so in die Karten sehn kann, 
um der geschichtlichen Entwicklung nach eigner Berechnung vor- 
zugreisen. Es ist natürlich, daß in dem Generalstabe der Armee 
nicht nur jüngere strebsame Offiziere, sondern auch erfahrne Stra- 
tegen das Bedürfniß haben, die Tüchtigkeit der von ihnen geleiteten 
Truppen und die eigne Befähigung zu dieser Leitung zu verwerthen 
und in der Geschichte zur Anschauung zu bringen. Es wäre zu 
bedauern, wenn diese Wirkung kriegerischen Geistes in der Armee 
nicht stattfände; die Aufgabe, das Ergebniß derselben in den Schran- 
ken zu halten, auf welche das Friedensbedürfniß der Völker berech- 
tigten Anspruch hat, liegt den politischen, nicht den militärischen 
Spitzen des Staates ob. Daß sich der Generalstab und seine Chefs 
zur Zeit der Luxemburger Frage, während der von Gortschakow und 
Frankreich fingirten Krisis von 1875 und bis in die neuste Zeit 
hinein zur Gefährdung des Friedens haben verleiten lassen, liegt 
in dem nothwendigen Geiste der Institution, den ich nicht missen 
möchte, und wird gefährlich nur unter einem Monarchen, dessen 
Politik das Augenmaß und die Widerstandsfähigkeit gegen einseitige 
und verfassungsmäßig unberechtigte Einflüsse fehlt.
	        
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