98 Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles.
Wenn ich mich auch in Versailles beschied, in militärischen
Dingen zu einem Votum nicht berufen zu sein, so lag mir doch
als dem leitenden Minister die Verantwortlichkeit für die richtige
politische Ausnutzung der militärischen, wie der auswärtigen Situation
ob, und ich war verfassungsmäßig der verantwortliche Rathgeber des
Königs in der Frage, ob die militärische Situation irgend welche
politische Schritte oder die Ablehnung irgend welcher Zumuthung
andrer Mächte rathsam machte. Ich habe damals die Nachrichten
über die militärische Lage, deren ich für die Beurtheilung der poli-
tischen bedurfte, so weit als möglich mir dadurch zu verschaffen ge-
sucht, daß ich mich mit einigen der unbeschäftigten hohen Herrn, welche
die „zweite Staffel“ des Hauptquartiers bildeten und im Hotel
des Réservoirs zusammenkamen, in vertraulichen Beziehungen hielt,
denn diese fürstlichen Herrn erfuhren über die militärischen Vor-
gänge und Absichten erheblich mehr als der verantwortliche Minister
des Auswärtigen und machten mir manche für mich sehr werthvolle
Mittheilung, von der sie annahmen, daß sie für mich natürlich
kein Geheimniß sei. Auch der englische Correspondent im Haupt-
quartier, Russell, war in der Regel über die Absichten und Vor-
gänge in demselben besser wie ich unterrichtet und eine nützliche
Quelle für meine Informationen.
II.
Im Kriegsrathe war Roon der einzige Vertreter meiner Ansicht,
daß wir mit Abschluß des Krieges Eile hätten, wenn wir die Einmischung
der Neutralen und ihres Congresses sicher hintanhalten wollten; er
befürwortete die Nothwendigkeit, aggressiv mit schwerem Geschütz
gegen Paris vorzugehn, gegenüber dem in den Kreisen hoher Frauen
für humaner geltenden Systeme der Aushungerung. Die Zeit,
die das letztre in Anspruch nehmen würde, ließ sich bei der