102 Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles.
doivent accabler le vaincu 1). Daß die Gefühle der Franzosen
über die erlittene Niederlage heut uns gegenüber weniger bitter
sein würden, wenn die Neutralen uns genöthigt hätten, uns mit
weniger zu begnügen, das wird ein so guter Kenner der französi-
schen Geschichte und des französischen Nationalcharakters, wie der
Graf Beust, schwerlich geglaubt haben.
Eine Einmischung konnte nur die Tendenz haben, uns Deutschen
den Siegespreis vermittelst eines Congresses zu beschneiden. Diese
mich Tag und Nacht beunruhigende Gefahr erzeugte in mir das
Bedürfniß, den Friedensschluß zu beschleunigen, um ihn ohne Ein-
mischung der Neutralen herstellen zu können. Daß dies vor der
Eroberung von Paris nicht thunlich sein würde, ließ sich nach dem
herkömmlichen Vorgewicht der Hauptstadt in Frankreich voraus-
sehn. So lange Paris sich hielt, war auch von den leitenden
Kreisen in Tours und Bordeaux und von den Provinzen nicht
anzunehmen, daß sie die Hoffnung auf einen Umschwung aufgeben
würden, mochte derselbe von neuen levées en masse, wie sie in
der Schlacht an der Lisaine zur Geltung kamen, oder von der
endlichen „Auffindung Europas“, oder von dem Glanznebel er-
wartet werden, der die englischen resp. westmächtlichen Schlag-
worte: „Humanität, Civilisation“ in deutschen, namentlich weib-
lichen Gemüthern an großen Höfen umgab — so lange bot sich
an den auswärtigen Höfen, die über die Situation in Frank-
reich doch mehr durch französische als durch deutsche Berichte
orientirt waren, die Möglichkeit, den Franzosen in ihrem Friedens-
schlusse beiständig zu sein. Für mich spitzte sich daher meine Auf-
gabe dahin zu, mit Frankreich abzuschließen, bevor eine Verständi-
gung der neutralen Mächte über ihre Einflußnahme auf den Frieden
zu Stande gekommen wäre, grade so, wie es 1866 unser Be-
dürfniß war, mit Oestreich abzuschließen, bevor französische Ein-
mischung in Süddeutschland wirksam werden konnte.
1) Depesche an Graf Chotek vom 12. October, Beust a. a. O. II 397.