Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

108 Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles. 
könnten. Unsre gegenseitigen Beziehungen sind nur gefährdet durch 
persönliche Stimmungen, wie die von Gortschakow waren, und wie 
es die von hochstehenden russischen Militärs bei ihren französischen 
Verschwägerungen sind, und durch monarchische Verstimmungen, 
wie sie schon vor dem siebenjährigen Kriege durch sarkastische Be— 
merkungen Friedrichs des Großen über die russische Kaiserin ent— 
standen. Deshalb ist die persönliche Beziehung der Monarchen 
beider Länder zu einander von hoher Bedeutung für den Frieden 
der beiden Nachbarreiche, für dessen Störung keine Interessen— 
divergenz, sondern nur persönliche Empfindlichkeiten maßgebender 
Staatsmänner einen Anlaß bieten konnten. 
Von Gortschakow sagten seine Untergebnen im Ministerium: 
„Il se mire dans son encrier,“ wie analog Bettina über ihren 
Schwager, den berühmten Savigny, äußerte: „Er kann keine 
Gossen überschreiten, ohne sich darin zu spiegeln.“ Ein großer 
Theil der Gortschakowschen Depeschen und namentlich die sach- 
lichsten sind nicht von ihm, sondern von Jomini, einem sehr ge- 
schickten Redacteur und Sohn eines schweizer Generals, den Kaiser 
Alexander für russischen Dienst anwarb. Wenn Gortschakow dic- 
tirte, so war mehr rhetorischer Schwung in den Depeschen, aber 
praktischer waren die von Jomini. Wenn er dictirte, so pflegte er 
eine bestimmte Pose anzunehmen, die er einleitete mit dem Worte: 
„éCcrivez!“, und wenn der Schreiber dann seine Stellung richtig 
auffaßte, so mußte er bei besonders wohlgerundeten Phrasen einen 
bewundernden Aufblick auf den Chef richten, der dafür sehr em- 
pfänglich war. Gortschakow beherrschte die russische, die deutsche 
und die französische Sprache mit gleicher Vollkommenheit. 
Graf Kutusoff war ein ehrlicher Soldat ohne persönliche 
Eitelkeit. Er war ursprünglich nach der Bedeutung seines Namens 
in hervorragender Stellung in Petersburg als Offizier der Garde- 
Kavallerie, hatte aber nicht das Wohlwollen des Kaisers Nico- 
laus; und als dieser, wie mir in Petersburg erzählt worden ist, 
vor der Front ihm zurief: „Kutusoff, du kannst nicht reiten, ich
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.