Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

114 Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles. 
Humanität des Aushungerns nur Empfindsamkeit und nicht auch 
politische Berechnung im Spiele war. England hatte kein 
praktisches Bedürfniß, weder uns noch Frankreich vor Schädigung 
und Schwächung durch den Krieg zu behüten, weder wirth- 
schaftlich noch politisch. Jedenfalls vermehrte die Verschleppung 
der Ueberwältigung von Paris und des Abschlusses der kriegerischen 
Vorgänge für uns die Gefahr, daß die Früchte unsrer Siege uns 
verkümmert werden könnten. Vertrauliche Nachrichten aus Berlin 
ließen erkennen, daß in den sachkundigen Kreisen der Stillstand 
unsrer Thätigkeit Besorgniß und Unzufriedenheit erregte, und 
daß man der Königin Augusta einen brieflichen Einfluß auf 
ihren hohen Gemal im Sinne der Humanität zuschrieb. Eine An- 
deutung, die ich dem Könige über Nachrichten derart machte, hatte 
einen lebhaften Zornesausbruch zur Folge, nicht in dem Sinne, 
daß die Gerüchte unbegründet seien, sondern in einer scharfen 
Bedrohung jeder Aeußerung einer derartigen Verstimmung gegen 
die Königin 
Die Initiative zu irgend einer Wendung in der Kriegführung 
ging in der Regel nicht von dem Könige aus, sondern von 
dem Generalstabe der Armee oder des Höchstcommandirenden am 
Orte, des Kronprinzen. Daß diese Kreise englischen Auffassungen, 
wenn sie sich in befreundeter Form geltend machten, zugänglich 
waren, war menschlich natürlich: die Kronprinzessin, die verstorbene 
Frau Moltkes, die Frau des Generalstabschefs, spätern Feldmar- 
schalls, Grafen Blumenthal, und die Frau des demnächst maß- 
gebenden Generalstabsoffiziers von Gottberg waren sämmtlich Eng- 
länderinnen. 
Die Gründe der Verzögerung des Angriffs auf Paris, über 
die die Wissenden Schweigen beobachtet hatten, sind durch die 
in der „Deutschen Revue“ von 1891 erfolgten Veröffentlichungen 
aus den Papieren des Grafen Roon 1) Gegenstand publicistischer Er- 
1) Ausgabe in Buchform III4 243 ff.
	        
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