Ludwigs II. Brief. Formulirung des Kaisertitels. 119
Hauptargument für den Kaisertitel mit der coercitiven Andeutung
wiedergegeben, daß Baiern die zugesagten, aber noch nicht rati-
ficirten Concessionen nur dem deutschen Kaiser, aber nicht dem
Könige von Preußen machen könne. Ich hatte diese Wendung aus-
drücklich gewählt, um einen Druck auf die Abneigung meines
hohen Herrn gegen den Kaisertitel auszuüben. Am siebenten Tage
nach seiner Abreise, am 3. December, war Graf Holnstein mit
diesem Schreiben des Königs wieder in Versailles; es wurde noch
an demselben Tage durch den Prinzen Luitpold, jetzigen Regenten,
unserm Könige officiell überreicht und bildete ein gewichtiges Mo-
ment für das Gelingen der schwierigen und vielfach in ihren
Aussichten schwankenden Arbeiten, die durch das Widerstreben des
Königs Wilhelm und durch die bis dahin mangelnde Feststellung
der bairischen Erwägungen veranlaßt waren. Der Graf Holn-
stein hat sich durch diese in einer schlaflosen Woche zurückgelegte
doppelte Reise und durch die geschickte Durchführung seines Auf-
trags in Hohenschwangau ein erhebliches Verdienst um den Ab-
schluß unsrer nationalen Einigung durch Beseitigung der äußern
Hindernisse der Kaiserfrage erworben.
Eine neue Schwierigkeit erhob Se. Majestät bei der Formu-
lirung des Kaisertitels, indem er, wenn schon Kaiser, Kaiser von
Deutschland heißen wollte. In dieser Phase haben der Kronprinz,
der seinen Gedanken an einen König der Deutschen längst fallen
gelassen hatte, und der Großherzog von Baden mich, jeder in seiner
Weise, unterstützt, wenn auch keiner von Beiden der zornigen Ab-
neigung des alten Herrn gegen den „Charakter-Major“ 1) offen
widersprach. Der Kronprinz unterstützte mich durch passive Assistenz
in Gegenwart seines Herrn Vaters und durch gelegentliche kurze
Aeußerungen seiner Ansicht, die aber meine Gefechtsposition dem
Könige gegenüber nicht stärkten, sondern eher eine verschärfte Reiz-
barkeit des hohen Herrn zur Folge hatten. Denn der König war noch
) S. o. S. 57. 115 f.