126 Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf.
gehende, daß bezüglich unsres Schicksals nach dem irdischen Tode
die Bürgschaften für die Katholiken stärker seien, als für andre,
weil, angenommen, daß die katholischen Dogmen irrthümlich seien,
das Schicksal der katholischen Seele nicht schlimmer ausfalle, wenn
der evangelische Glaube sich als der richtige erweisen sollte, im
umgekehrten Falle aber die Zukunft der ketzerischen Seele eine ent-
setzliche sei. Er knüpfte daran die Frage: „Glauben Sie etwa,
daß ein Katholik nicht selig werden könne?" Ich antwortete: „Ein
katholischer Laie unbedenklich; ob ein Geistlicher, ist mir zweifel-
haft; in ihm steckt „die Sünde wider den heiligen Geist", und der
Wortlaut der Schrift steht ihm entgegen.“ Der Bischof beantwortete
diese in scherzhaftem Tone gegebene Erwiderung lächelnd durch eine
höflich ironische Verbeugung.
Nachdem unsre Verhandlungen resultatlos abgelaufen waren,
wurde die Neubildung der 1860 gegründeten, jetzt Centrum ge-
nannten katholischen Fraction mit steigendem Eifer besonders von
Savigny und Mallinckrodt betrieben. An dieser Fraction habe ich
die Beobachtung zu machen gehabt, daß, wie in Frankreich so auch
in Deutschland, der Papst schwächer ist, als er erscheint, jedenfalls
nicht so stark ist, daß wir seinen Beistand in unsern Angelegen-
heiten durch den Bruch mit den Sympathien andrer mächtiger Ele-
mente erkaufen durften. Von dem désaveu des Cardinals Antonelli
in dem Briefe an den Bischof Ketteler vom 5. Juni 1871, von der
Centrumsmission des Fürsten Löwenstein-Wertheim, von der Unbot-
mäßigkeit des Centrums bei Gelegenheit des Septennats habe ich
den Eindruck erhalten, daß der Partei= und Fractionsgeist, den
die Vorsehung dem Centrum an Stelle des Nationalsinnes andrer
Völker verliehn hat, stärker ist als der Papst, nicht auf einem
Concil, ohne Laien, aber auf dem Schlachtfelde parlamentarischer
und publicistischer Kämpfe innerhalb Deutschlands. Ob das auch
der Fall sein würde, wenn der päpstliche Einfluß sich ohne Rücksicht
auf concurrirende Kräfte, namentlich den Jesuitenorden, geltend
zu machen vermöchte, lasse ich, ohne an den plötzlichen Tod des