Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

154 Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bruch mit den Conservativen. 
damals über die Stellung von Strafanträgen noch keine bestimmten 
Grundsätze gebildet, und die Erfahrungen, welche ich in der Con- 
flictszeit gemacht hatte, waren nicht grade ermuthigend; ich erinnere 
mich, daß ein Ortsgericht, ich glaube in Stendal, in den Gründen 
seines Erkenntnisses die Schwere der öffentlich gegen mich gerich- 
teten Beleidigungen zwar reichlich zugab, aber die Festsetzung einer 
Minimalstrafe von 10 Thalern damit motivirte, daß ich wirklich 
ein übler Minister sei. 
Als die Perrotschen Artikel erschienen, sah ich auch noch nicht 
voraus, welchen Umfang der Verleumdungsfeldzug gegen mich von 
Seiten meiner frühern Parteigenossen und namentlich in den 
Kreisen meiner Standesgenossen annehmen sollte. 
V. 
Jeder, der heutiger Zeit in politischen Kämpfen gestanden hat, 
wird die Wahrnehmung gemacht haben, daß Parteimänner, über 
deren Wohlerzogenheit und Rechtlichkeit im Privatleben nie Zweifel 
aufgekommen sind, sobald sie in Kämpfe der Art gerathen, sich 
von den Regeln des Ehrgefühls und der Schicklichkeit, deren 
Autorität sie sonst anerkennen, für entbunden halten und aus einer 
karikirenden Uebertreibung des Satzes salus publica suprema lex 
die Rechtfertigung für Gemeinheiten und Rohheiten in Sprache 
und Handlungen ableiten, durch die sie sich außerhalb der poli— 
tischen und religiösen Streitigkeiten selbst angewidert fühlen würden. 
Diese Lossagung von Allem, was schicklich und ehrlich ist, hängt 
undeutlich mit dem Gefühle zusammen, daß man im Interesse der 
Partei, das man dem des Vaterlandes unterschiebt, mit anderm 
Maße zu messen habe als im Privatleben, und daß die Gebote 
der Ehre und Erziehung in Parteikämpfen anders und loser aus- 
zulegen seien, als selbst im Kriegsgebrauch gegen ausländische Feinde. 
Die Reizbarkeit, die zur Ueberschreitung der sonst üblichen Formen
	        
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