160 Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bruch mit den Conservativen.
sammen aus den zufriedenen Staatsbürgern, die den status quo
angreifenden recrutiren sich naturgemäß mehr aus den mit den
bestehenden Einrichtungen unzufriedenen; und unter den Elementen,
auf denen die Zufriedenheit beruht, nimmt die Wohlhabenheit nicht
die letzte Stelle ein. Nun ist es eine Eigenthümlichkeit, wenn nicht
der Menschen im Allgemeinen, so doch der Deutschen, daß der Un-
zufriedene arbeitsamer und rühriger ist als der Zufriedene, der Be-
gehrliche strebsamer als der Satte. Die geistig und körperlich
satten Deutschen sind gewiß zuweilen aus Pflichtgefühl arbeitsam,
aber in der Mehrheit nicht, und unter den gegen das Bestehende
Ankämpfenden findet sich der Wohlhabende bei uns seltener aus
Ueberzeugung, öfter von einem Ehrgeiz getrieben, der auf diesem Wege
schnellere Befriedigung hofft oder durch Verstimmung über politische
oder confessionelle Widerwärtigkeiten auf ihn gedrängt worden ist.
Das Ergebniß im Ganzen ist immer eine größere Arbeitsamkeit unter
den Kräften, die das Bestehende angreifen, als unter denen, die
es vertheidigen, also den Conservativen. Dieser Mangel an Arbeit-
samkeit der Mehrheit erleichtert wiederum die Leitung einer conser-
vativen Fraction in höherm Maße, als dieselbe durch individuelle
Selbständigkeit und stärkern Eigensinn der Einzelnen erschwert
werden könnte. Nach meinen Erfahrungen ist die Abhängigkeit der
conservativen Fractionen von dem Gebote ihrer Leitung mindestens
ebenso stark, vielleicht stärker als auf der äußersten Linken. Die
Scheu vor dem Bruch ist auf der rechten Seite vielleicht größer
als auf der linken, und der damals auf jeden Einzelnen stark
wirkende Vorwurf, „ministeriell zu sein“, war der objectiven Be-
urtheilung auf der rechten Seite oft hinderlicher als auf der linken.
Dieser Vorwurf hörte sofort auf, den Conservativen und andern
Fractionen empfindlich zu sein, als durch meine Entlassung die
regirende Stelle vacant geworden war, und jeder Parteiführer in
der Hoffnung, bei ihrer Wiederbesetzung betheiligt zu werden, bis
zur unehrlichen Verleugnung und Boycottirung des frühern Kanzlers
und seiner Politik servil und ministeriell wurde.