Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Schreiben an den Kaiser. Verwaltungsreform. 179 
Verzeihn E. M., wenn das Interesse des Fachmannes mich 
über diesen abgemachten Punkt nach dreimonatlicher Enthaltung 
hat weitläuftig werden lassen.“ 
III. 
Graf Friedrich Eulenburg erklärte sich Sommer 1877 körper- 
lich bankrott, und in der That war seine Leistungsfähigkeit sehr ver- 
ringert, nicht durch Uebermaß von Arbeit, sondern durch die Scho- 
nungslosigkeit, mit der er sich von Jugend auf jeder Art von 
Genuß hingegeben hatte. Er besaß Geist und Muth, aber nicht 
immer Lust zu ausdauernder Arbeit. Sein Nervensystem war ge- 
schädigt und schwankte schließlich zwischen weinerlicher Mattigkeit 
und künstlicher Aufregung. Dabei hatte ihn in der Mitte der 70er 
Jahre, wie ich vermuthe, ein gewisses Popularitätsbedürfniß über- 
fallen, das ihm früher fremd geblieben war, so lange er gesund 
genug war, um sich zu amüsiren. Diese Anwandlung war nicht 
frei von einem Anflug von Eifersucht auf mich, wenn wir auch 
alte Freunde waren. Er suchte sie dadurch zu befriedigen, daß er 
sich der Verwaltungsreform annahm. Sie mußte gelingen, wenn 
sie ihm Ruhm erwerben sollte. Um den Erfolg zu sichern, machte 
er bei den parlamentarischen Verhandlungen darüber unpraktische 
Concessionen und bürokratisirte den wesentlichen Träger unfrer 
ländlichen Zustände, den Landrathsposten, gleichzeitig mit der neuen 
Local-Verwaltung. Der Landrathsposten war in frühern Zeiten 
eine preußische Eigenthümlichkeit, der letzte Ausläufer der Verwal- 
tungshierarchie, durch den sie mit dem Volke unmittelbar in Be- 
rührung stand. In dem socialen Ansehn aber stand der Landrath 
höher als andre Beamte gleichen Ranges. Man wurde früher 
nicht Landrath mit der Absicht, dadurch Carrière zu machen, son- 
dern mit der Aussicht, sein Leben als Landrath des Kreises zu 
beschließen. Die Autorität eines solchen wuchs mit den Jahren
	        
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