Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

230 Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund. 
für das Bedürfniß des Zusammenhaltens im Interesse staatlicher 
und gesellschaftlicher Ordnung kein Verständniß haben, sondern sich 
chauvinistischen Regungen ihrer Unterthanen dienstbar machen, so 
befürchte ich, daß die internationalen revolutionären und socialen 
Kämpfe, die auszufechten sein werden, um so gefährlicher und 
für den Sieg der monarchischen Ordnung schwieriger sich gestalten 
werden. Ich habe die nächstliegende Assecuranz gegen diese Kämpfe 
seit 1871 in dem Dreikaiserbunde und in dem Bestreben gesucht, 
dem monarchischen Prinzipe in Italien eine feste Anlehnung an 
diesen Bund zu gewähren. Ich war nicht ohne Hoffnung auf einen 
dauernden Erfolg, als im September 1872 die Zusammenkunft 
der drei Kaiser in Berlin, demnächst die Besuche meines Kaisers 
in Petersburg im Mai, des Königs von Italien in Berlin im 
September, des deutschen Kaisers in Wien im October des folgenden 
Jahres stattfanden. Die erste Trübung dieser Hoffnung wurde 
1875 verursacht durch die Hetzereien des Fürsten Gortschakow 0, 
der die Lüge verbreitete, daß wir Frankreich, bevor es sich von seinen 
Wunden erholt hätte, zu überfallen beabsichtigten. 
Ich bin zur Zeit der Luxemburger Frage (1867) ein grund- 
sätzlicher Gegner von Präventiokriegen gewesen, d. h. von An- 
griffskriegen, die wir um deshalb führen würden, weil wir ver- 
mutheten, daß wir sie später mit dem besser gerüsteten Feinde zu 
bestehn haben würden. Daß wir 1875 Frankreich besiegt haben 
würden, war nach der Ansicht unsrer Militärs wahrscheinlich; aber 
nicht so wahrscheinlich war es, daß die übrigen Mächte neutral 
geblieben sein würden. Wenn schon in den letzten Monaten vor 
den Versailler Verhandlungen die Gefahr europäischer Einmischung 
mich täglich beängstigte, so würde die scheinbare Gehässigkeit eines 
Angriffs, den wir unternommen hätten, nur um Frankreich nicht 
wieder zu Athem kommen zu lassen, einen willkommnen Vorwand 
zunächst für englische Humanitätsphrasen geboten haben, dann aber 
1) Kap. 26, s. o. S. 174.
	        
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