232 Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund.
grammmäßigen Erörterungen zu setzen. Aus dem Grunde habe ich,
trotz vielseitiger Befürwortung, die Betheiligung Favres an jener
Conferenz durch äußere und innere Einflüsse verhindert. Ob Frank-
reich 1875 unserm Anfalle gegenüber in seiner Vertheidigung so
schwach gewesen sein würde, wie unfre Militärs annahmen, erscheint
fraglich, wenn man sich erinnert, daß in dem französisch-englisch-
östreichischen Vertrage vom 3. Januar 1815 das besiegte und noch
theilweise besetzte, durch zwanzig Kriegsjahre erschöpfte Frankreich
doch noch bereit war, für die Coalition gegen Preußen und Rußland
150 000 Mann sofort und demnächst 300 000 in's Feld zu führen.
Die 300 000 in unsrer Gefangenschaft gewesenen altgedienten
Soldaten befanden sich wieder in Frankreich, und wir hätten die
russische Macht schließlich wohl nicht wie im Januar 1815 wohl-
wollend neutral, sondern vielleicht feindlich hinter uns gehabt. Aus
dem Gortschakowschen Circular-Telegramm vom Mai 1875 1) an
alle russischen Gesandschaften geht hervor, daß die russische Diplo-
matie bereits zu einer Thätigkeit gegen unfre angebliche Neigung
zur Friedensstörung veranlaßt worden war.
Auf diese Episode folgten die unruhigen Bestrebungen des
russischen Reichskanzlers, unfre und besonders meine persönlich
guten Beziehungen zum Kaiser Alexander zu trüben, unter anderm
dadurch, daß er, wie im 28. Kapitel erzählt ist, durch Vermittlung
des Generals von Werder die Ablehnung des Versprechens der
Neutralität für den Fall eines russisch-östreichischen Krieges von
mir erpreßte. Daß das russische Cabinet sich alsdann direct und
im Geheimen an das Wiener wandte, bezeichnet wiederum eine
Phase der Gortschakowschen Politik, die meinem Streben nach
einem monarchisch-conservativen Dreibunde nicht günstig war.
1) S. o. S. 174.