Aufgaben einer vorschauenden Politik Deutschlands. 257
Eine Coalition wie im siebenjährigen Kriege gegen Preußen von
Rußland, Oestreich und Frankreich, vielleicht in Verbindung mit
andern dynastischen Unzufriedenheiten, ist für unsre Existenz ebenso
gefährlich und für unsern Wohlstand, wenn sie siegt, noch er—
drückender als die damalige. Es ist unvernünftig und ruchlos, die
Brücke, die uns eine Annäherung an Rußland gestattet, aus per—
sönlicher Verstimmung abzubrechen.
Wir müssen und können der östreichisch-ungarischen Mon—
archie das Bündniß ehrlich halten; es entspricht unsern Interessen,
den historischen Traditionen Deutschlands und der öffentlichen Mei-
nung unsres Volkes. Die Eindrücke und Kräfte, unter denen
die Zukunft der Wiener Politik sich zu gestalten haben wird, sind
jedoch complicirter als bei uns, wegen der Mannigfaltigkeit der
Nationalitäten, der Divergenz ihrer Bestrebungen, der clericalen
Einflüsse und der in den Breiten des Balkan und des Schwarzen
Meeres für die Donauländer liegenden Versuchungen. Wir dürfen
Oestreich nicht verlassen, aber auch die Möglichkeit, daß wir von
der Wiener Politik freiwillig oder unfreiwillig verlassen werden,
nicht aus den Augen verlieren. Die Möglichkeiten, die uns in
solchen Fällen offen bleiben, muß die Leitung der deutschen Politik,
wenn sie ihre Pflicht thun will, sich klar machen und gegenwärtig
halten, bevor sie eintreten, und sie dürfen nicht von Vorliebe oder
Verstimmung abhängen, sondern nur von objectiver Erwägung der
nationalen Interessen.
VIII.
Ich habe mich stets bemüht, nicht nur die Sicherstellung gegen
russische Angriffe, sondern auch die Beruhigung der russischen Stim-
mung und den Glauben an den inoffensiven Charakter unfrer
Politik zu pflegen. Es ist mir auch bis zu meinem Ausscheiden
aus dem Amte vermöge des persönlichen Vertrauens, das Kaiser
Alexander III. mir schenkte, stets gelungen, dem Mißtrauen die
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 17