Dreißigstes Kapitel.
Zukünftige Politik Rußlands.
Die Gefahr auswärtiger Kriege, die Gefahr, daß der nächste
auf der Westgrenze uns gegenüber die rothe Fahne ebenso gut wie
vor hundert Jahren die dreifarbige in's Gefecht führen könne, lag
zur Zeit von Schnäbele und Boulanger vor und liegt noch heut
vor. Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges nach zwei Seiten hin
ist durch den Tod von Katkow und Skobelew in etwas vermindert:
es ist nicht nothwendig, daß ein französischer Angriff auf uns Ruß-
land mit derselben Gewißheit gegen uns in das Feld rufen würde,
wie ein russischer Angriff Frankreich; aber die Neigung Rußlands,
still zu sitzen, hängt nicht allein von Stimmungen, sondern mehr
noch von technischen Fragen der Bewaffnung zu Wasser und zu
Lande ab. Wenn Rußland mit der Construction seines Gewehrs,
der Art seines Pulvers und der Stärke seiner Schwarzen-Meer-
Flotte seiner Meinung nach „fertig“ ist, so wird die Tonart, in
der heut die Variationen der russischen Politik gehalten sind, viel-
leicht einer freiern Platz machen.
Es ist nicht wahrscheinlich, daß Rußland, wenn es seine
Rüstung vollendet hat, dieselbe benutzen wird, um ohne Weitres
und in Rechnung auf französischen Beistand uns anzugreifen. Der
deutsche Krieg bietet für Rußland ebenso wenig unmittelbare Vor-
theile, wie der russische für Deutschland, höchstens im Betrage der