Welche Politik haben Oestreich und Deutschland zu befolgen? 265
Jedenfalls wird auch in der Zukunft nicht bloß kriegerische
Rüstung, sondern auch ein richtiger politischer Blick dazu gehören,
das deutsche Staatsschiff durch die Strömungen der Coalitionen zu
steuern, denen wir nach unsrer geographischen Lage und unsrer
Vorgeschichte ausgesetzt sind. Durch Liebenswürdigkeiten und wirth—
schaftliche Trinkgelder für befreundete Mächte werden wir den Ge—
fahren, die im Schoße der Zukunft liegen, nicht vorbeugen, sondern
die Begehrlichkeit unsrer einstweiligen Freunde und ihre Rechnung
auf unser Gefühl sorgenvoller Bedürftigkeit steigern. Meine Be-
fürchtung ist, daß auf dem eingeschlagenen Wege unsre Zukunft
kleinen und vorübergehenden Stimmungen der Gegenwart geopfert
wird. Frühere Herrscher sahen mehr auf Befähigung als auf
Gehorsam ihrer Rathgeber; wenn der Gehorsam allein das Kriterium
ist, so wird ein Anspruch an die universelle Begabung des Monarchen
gestellt, dem selbst Friedrich der Große nicht genügen würde, obschon
die Politik in Krieg und Frieden zu seiner Zeit weniger schwierig
war wie heut.
Unser Ansehn und unfre Sicherheit werden sich um so nach-
haltiger entwickeln, je mehr wir uns bei Streitigkeiten, die uns
nicht unmittelbar berühren, in der Reserve halten und unempfindlich
werden gegen jeden Versuch, unfre Eitelkeit zu reizen und aus-
zubeuten, Versuche, wie sie während des Krimkrieges von der eng-
lischen Presse und dem englischen Hofe und den auf England ge-
stützten Strebern an unserm eignen Hofe gemacht wurden, indem
man uns mit der Entziehung der Titulatur einer Großmacht so
erfolgreich bedrohte, daß Herr von Manteuffel uns in Paris großen
Demüthigungen aussetzte, um zur Mitunterschrift eines Vertrages
zugelassen zu werden, an den nicht gebunden zu sein uns nützlich
gewesen sein würde 1). Deutschland würde auch heut eine große
Thorheit begehn, wenn es in orientalischen Streitfragen ohne eignes
Interesse früher Partei nehmen wollte, als die andern, mehr inter-
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