Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Deutschlands Aufgabe: den Frieden zu erhalten. 267 
Zeit aus dem abwartenden Stadium in das handelnde drängen 
lassen; wenn nicht, plectuntur Achivi. 
Unsre Zurückhaltung kann vernünftiger Weise nicht den Zweck 
haben, über irgend einen unsrer Nachbarn oder möglichen Gegner 
mit geschonten Kräften herzufallen, nachdem die andern sich ge- 
schwächt hätten. Im Gegentheil sollten wir uns bemühn, die 
Verstimmungen, die unser Heranwachsen zu einer wirklichen Groß- 
macht hervorgerufen hat, durch den ehrlichen und friedliebenden 
Gebrauch unfrer Schwerkraft abzuschwächen, um die Welt zu über- 
zeugen, daß eine deutsche Hegemonie in Europa nützlicher und 
unparteiischer, auch unschädlicher für die Freiheit andrer wirkt als 
eine französische, russische oder englische. Die Achtung vor den 
Rechten andrer Staaten, an der namentlich Frankreich in den 
Zeiten seines Uebergewichts es hat fehlen lassen, und die in Eng- 
land doch nur so weit reicht, als die englischen Interessen nicht 
berührt werden, wird dem Deutschen Reiche und seiner Politik 
erleichtert, einerseits durch die Objectivität des deutschen Charakters, 
andrerseits durch die verdienstlose Thatsache, daß wir eine Ver- 
größerung unsres unmittelbaren Gebietes nicht brauchen, auch nicht 
herstellen könnten, ohne die centrifugalen Elemente im eignen Ge- 
biete zu stärken. Mein ideales Ziel, nachdem wir unfre Einheit 
innerhalb der erreichbaren Grenzen zu Stande gebracht hatten, ist 
stets gewesen, das Vertrauen nicht nur der mindermächtigen euro- 
päischen Staaten, sondern auch der großen Mächte zu erwerben, 
daß die deutsche Politik, nachdem sie die injuria temporum, die 
Zersplitterung der Nation, gut gemacht hat, friedliebend und gerecht 
sein will. Um dieses Vertrauen zu erzeugen, ist vor allen Dingen 
Ehrlichkeit, Offenheit und Versöhnlichkeit im Falle von Reibungen 
oder von untoward events nöthig. Ich habe dieses Recept nicht 
ohne Widerstreben meiner persönlichen Empfindlichkeiten befolgt in 
Fällen wie Schnäbele (April 1887), Boulanger, Kaufmann (Sep- 
tember 1887), Spanien gegenüber in der Carolinen-Frage, den 
Vereinigten Staaten gegenüber in Samoa, und vermuthe, daß die
	        
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