Ressortparticularismus. Landtagsberathung kein Schutz gegen Unsinn. 273
Ich halte auch die Voraussetzung für trügerisch, daß ein un-
geschickter Gesetzentwurf des Ministeriums im Landtage sachlich
genügend richtig gestellt werden wird. Er kann und wird hoffent-
lich in der Regel abgelehnt werden; ist aber die Frage, die er
betrifft, dringend, so liegt die Gefahr vor, daß auch ministerieller
Unsinn glatt durch die parlamentarischen Stadien geht, namentlich
wenn es dem Verfasser gelingt, den einen oder andern einfluß-
reichen oder beredten Freund für sein Erzeugniß zu gewinnen.
Abgeordnete, die einen Gesetzentwurf von mehr als hundert
Paragraphen zu lesen sich die Mühe geben oder mit Verständ-
niß zu lesen vermöchten, sind bei der Ueberzahl studirter Leute-
aus der Justiz und der Verwaltung wohl vorhanden, aber die
Lust und das Pflichtgefühl zur Arbeit haben nur wenige, und diese
sind vertheilt unter einander bekämpfende Fractionen und Partei-
bestrebungen, deren Tendenzen es ihnen erschweren, sachlich zu
urtheilen. Die meisten Abgeordneten lesen und prüfen nicht, sondern
fragen die für eigne Zwecke arbeitenden und redenden Fractions-
führer, wann sie in die Sitzung kommen und wie sie stimmen
sollen. Das Alles ist aus der menschlichen Natur erklärlich, und
niemand ist darüber zu tadeln, daß er nicht aus seiner Haut
hinaus kann; nur darf man sich darüber nicht täuschen, daß es ein
bedenklicher Irrthum ist, anzunehmen, daß unsern Gesetzen heut
zu Tage die Prüfung und vorbereitende Arbeit zu Theil werde, deren
sie bedürfen, oder auch nur die, welche sie vor 1848 genossen.
Ein Denkmal seiner Flüchtigkeit hat sich der Reichstag von
1867 in der Verfassung des Norddeutschen Bundes gesetzt, das in
die Verfassung des Deutschen Reiches übergegangen ist. Der einem
Beschlusse des Frankfurter Bundestages nachgebildete Artikel 68 des
Entwurfs zählte fünf Verbrechen auf, die, wenn sie gegen den Bund
begangen werden, so bestraft werden sollen, als wenn sie gegen einen
einzelnen Bundesstaat begangen wären. Die fünfte Nummer war
mit „endlich“ eingeführt. Der wegen seiner Gründlichkeit gerühmte
Twesten stellte den Verbesserungsantrag, die drei ersten Nummern
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 18