282 Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm J.
Vaters. Der Einfluß seiner Gemalin brachte ihn in reifern
Jahren in Opposition gegen das traditionelle Prinzip, und die Un—
fähigkeit seiner Minister der Neuen Aera und das überstürzende
Ungeschick der liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte
in ihm wiederum den alten Pulsschlag des preußischen Prinzen
und Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er ein—
schlug, gefährlich sei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt war,
daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten, einen
Weg zu betreten, so ging er ihn ohne Rücksicht auf die Gefahren,
denen er ausgesetzt sein konnte, in der Politik ebenso wie auf dem
Schlachtfelde. Einzuschüchtern war er nicht. Die Königin war es,
und das Bedürfniß des häuslichen Friedens mit ihr war ein un-
berechenbares Gewicht, aber parlamentarische Grobheiten oder Droh-
ungen hatten nur die Wirkung, seine Entschlossenheit im Wider-
stande zu stärken. Mit dieser Eigenschaft hatten die Minister der
Neuen Aera und ihre parlamentarischen Stützen und Gefolgschaften
niemals gerechnet. Graf Schwerin war in seinem Mißverstehn
dieses furchtlosen Offiziers auf dem Throne so weit gegangen, zu
glauben, ihn durch Ueberhebung und Mangel an Höflichkeit ein-
schüchtern zu können 1). In diesen Vorgängen lag der Wendepunkt
des Einflusses der Minister der Neuen Aera, der Altliberalen und
der Bethmann-Hollwegschen Partei, von dem ab die Bewegung
rückläufig wurde, die Leitung in Roons Hände fiel und der Mi-
nisterpräsident Fürst Hohenzollern mit seinem Adjuncten Auerswald
meinen Eintritt in das Ministerium wünschten. Die Königin und
Schleinitz verhinderten ihn einstweilen noch, als ich im Früh-
jahr 1860 in Berlin war, aber die Aeußerlichkeiten, die zwischen
dem Herrn und seinen Ministern vorgekommen waren, hatten in
die gegenseitigen Beziehungen doch einen Riß gebracht, der nicht
mehr vernarbte.
) S. Bd. 1 212.