Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

292 Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm J. 
Diener zu haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edel- 
mannes, der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe 
vertragen kann. Die freudige Art, in welcher er 1885 bei meiner 
50jährigen Dienstfeier 1) die mir gebrachten Huldigungen nicht befahl 
und anordnete, aber zuließ und mitmachte, stellte auch für das 
Publikum und die Geschichte diesen königlichen und vornehmen Cha- 
rakter in das richtige Licht. Die Feier war nicht von ihm befohlen, 
aber zugelassen und freudig befördert. Nicht einen Augenblick kam 
ihm der Gedanke einer Eifersucht auf seinen Diener und Unter- 
thanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ ihn das 
königliche Bewußtsein, der Herr zu sein, ebenso wie bei mir alle, 
auch übertriebene Huldigungen das Gefühl, der Diener dieses Herrn 
zu sein, und mit Freuden zu sein, in keiner Weise berührten. 
Diese Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre prin- 
zipielle Begründung in einem überzeugungstreuen Royalismus: aber 
in der Specialität, wie er vorhanden war, ist er doch nur mög- 
lich unter der Wirkung einer gewissen Gegenseitigkeit des Wohl- 
wollens zwischen Herrn und Diener, wie unser Lehnrecht die „Treue“ 
auf beiden Seiten zur Voraussetzung hatte. Solche Beziehungen, 
wie ich sie zum Kaiser Wilhelm hatte, sind nicht ausschließlich 
staatsrechtlicher oder lehnrechtlicher Natur; sie sind persönlich und 
sie wollen von dem Herrn sowohl wie von dem Diener, wenn sie 
wirksam sein sollen, erworben sein; sie übertragen sich mehr persön- 
lich, als logisch leicht auf eine Generation, aber ihnen einen dauern- 
den und prinzipiellen Charakter beizulegen, entspricht im heutigen 
politischen Leben nicht mehr den germanischen, sondern eher den 
romanischen Anschauungen; der portugiesische porteur du coton ist 
in die deutschen Begriffe nicht übertragbar. 
1) Sie wurde nach Wunsch des Kaisers mit der Feier des 70. Geburts- 
tags verbunden.
	        
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