Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Aus der Rede vom 1. Juni 1865. Stärke des Parteihasses. 21 
Mittel, durch das es Ihnen gelingen wird, unsern constitutionellen 
Einrichtungen diejenige Festigkeit und weitre Ausbildung zu geben, 
deren sie bedürfen.“ — 
Die Forderung für die Marine wurde abgelehnt. 
Es liegt im Rückblick auf diese Situation ein bedauerlicher 
Beweis, bis zu welchem Maße von Unehrlichkeit und Vaterlands- 
losigkeit die politischen Parteien bei uns auf dem Wege des 
Parteihasses gelangen. Es mag Aehnliches anderswo vorgekommen 
sein, doch weiß ich kein Land, wo das allgemeine Nationalgefühl 
und die Liebe zum Gesammtvaterlande den Ausschreitungen der 
Parteileidenschaft so geringe Hindernisse bereitet wie bei uns. Die 
für apokryph gehaltene Aeußerung, welche Plutarch dem Cäsar in 
den Mund legt, lieber in einem elenden Gebirgsdorfe der Erste, 
als in Rom der Zweite sein zu wollen, hat mir immer den Ein— 
druck eines ächt deutschen Gedankens gemacht. Nur zu viele unter 
uns denken im öffentlichen Leben so und suchen das Dörfchen, und 
wenn sie es geographisch nicht finden können, die Fraction, resp. 
Unterfraction und Coterie, wo sie die Ersten sein können. Diese 
Sinnesrichtung, die man nach Belieben Egoismus oder Unabhängig— 
keit nennen kann, hat in der ganzen deutschen Geschichte von den 
rebellischen Herzogen der ersten Kaiserzeiten bis auf die unzähligen 
reichsunmittelbaren Landesherrn, Reichs-Städte, Reichs-Dörfer, 
-Abteien und -Ritter und die damit verbundene Schwäche und 
Wehrlosigkeit des Reiches ihre Bethätigung gefunden. Einstweilen 
findet sie im Parteiwesen, welches die Nation zerklüftet, stärkern 
Ausdruck als in der rechtlichen oder dynastischen Zerrissenheit. Die 
Parteien scheiden sich weniger durch Programme und Prinzipien 
als durch die Personen, welche als Condottieri an der Spitze einer 
jeden stehn und für sich eine möglichst große Gefolgschaft von 
Abgeordneten und publicistischen Strebern anzuwerben suchen, die 
hoffen, mit dem Führer oder den Führern zur Macht zu gelangen. 
Prinzipielle programmatische Unterschiede, durch welche die Fractionen 
zu Kampf und Feindschaft gegen einander genöthigt würden, liegen
	        
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