Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

Bedenklichkeit der Lage. Der Appell an Ungarn. 35 
anstatt der frühern, schüchternen und zwiespältigen entgegengetreten, 
der wir vorwärts Berlin keine gleichwerthigen Streitkräfte gegen- 
überzustellen hatten, ohne Wien gegenüber zu schwach zu werden. 
Mainz war von Bundestruppen unter dem Befehl des bairischen 
Generals Grafen Rechberg besetzt; wären die Franzosen einmal 
darin gewesen, so würde es harte Arbeit gekostet haben, sie daraus 
zu entfernen. 
Unter dem Druck der französischen Intervention und zu einer 
Zeit, als es sich noch nicht übersehn ließ, ob es gelingen werde, sie auf 
dem diplomatischen Gebiete festzuhalten, entschloß ich mich, dem Könige 
den Appell an die ungarische Nationalität anzurathen. Wenn Napoleon 
in der angedenuteten Weise in den Krieg eingriff, Rußlands Haltung 
zweifelhaft blieb, namentlich aber die Cholera in unsrer Armee 
weitre Fortschritte machte, so konnte unfre Lage eine so schwierige 
werden, daß wir zu jeder Waffe, die uns die entfesselte nationale 
Bewegung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn und 
Böhmen darbieten konnte, greifen mußten, um nicht zu unterliegen 1). 
II. 
Am 12. Juli fand in dem Marschquartier Czernahora Kriegs- 
rath, oder, wie die Militärs die Sache genannt haben wollen, 
Generalsvortrag Statt — ich behalte der Kürze und des allgemeinen 
Verständnisses wegen den erstern auch von Roon X) gebrauchten 
Ausdruck bei, obwohl der Feldmarschall Moltke in einem dem 
Professor von Treitschke am 9. Mai 1881 übergebenen Aufsatze 
bemerkt hat, daß in beiden Kriegen niemals Kriegsrath gehalten 
worden sei?). Zu diesen unter dem Vorsitz des Königs gehaltenen 
X) In dem Briefe an seine Gemalin vom 7. Februar 1871 (Denkwürdig- 
keiten III4 297). 
1) Vgl. die Aeußerung in der Rede vom 16. Januar 1874, Politische 
RNeden VI 140. 
2) Vgl. Moltke, Gesammelte Schriften III 415 ff.
	        
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