Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

68 Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund. 
in Preußen gegen Parlament und Presse ein Regirungssystem 
durchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutschland bekämpft 
wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Presse zu ergreifen gewesen 
sein würden, würden in Dessau keine Gültigkeit gehabt haben, und 
Oestreich und Süddeutschland würden ihre Revanche einstweilen da— 
durch genommen haben, daß sie die von Preußen verlassene Führung 
auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale 
Partei in Preußen selbst würde mit den Gegnern der Regirung 
sympathisirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbesserten 
preußischen Grenzen staatsrechtlich eine Stärkung des Königthums 
gewinnen, aber doch in Gegenwart stark dissentirender einheimischer 
Elemente, denen sich die Opposition in den neuen Provinzen ange— 
schlossen haben würde. Wir hätten dann einen preußischen Erobe- 
rungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden 
die Sehnen durchschnitten worden sein. In dem Bestreben, der 
dcutschen Nation die Möglichkeit einer ihrer geschichtlichen Bedeu- 
tung entsprechenden Existenz durch Einheit zu verschaffen, lag das 
gewichtigste Argument zur Rechtfertigung des geführten deutschen 
„Bruderkrieges“; die Erneuerung eines solchen wurde unabwend- 
bar, wenn der Kampf zwischen den deutschen Stämmen lediglich im 
Interesse der Stärkung des preußischen Sonderstaates fortgesetzt 
wurde. 
Ich halte den Absolutismus für keine Form einer in Deutsch- 
land auf die Dauer haltbaren oder erfolgreichen Regirung. Die 
preußische Verfassung ist, wenn man von einigen, aus der belgischen 
übersetzten Phrasenartikeln absieht, in ihrem Hauptprinzip ver- 
nünftig; sie hat drei Factoren, den König und zwei Kammern, 
deren jeder durch sein Votum willkürliche Aenderungen des gesetz- 
lichen status quo hindern kann. Darin liegt eine gerechte Ver- 
theilung der gesetzgebenden Gewalt. Wenn man letztre von der 
öffentlichen Kritik der Presse und der parlamentarischen Behandlung 
emancipirt, so wird die Gefahr erhöht, daß sie auf Abwege geriethe. 
Absolutismus der Krone ist ebenso wenig haltbar wie Absolutismus
	        
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