Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Die Emser Depesche.
Am 2. Juli 1870 entschied sich das spanische Ministerium für
die Thronbesteigung des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern.
Damit war die erste völkerrechtliche Anregung zu der spätern
Kriegsfrage gegeben, aber doch nur in Gestalt einer specifisch
spanischen Angelegenheit. Ein völkerrechtlicher Vorwand für Frank-
reich, in die Freiheit der spanischen Königswahl einzugreifen, war
schwer zu finden; er wurde, seitdem man es in Paris auf den
Krieg mit Preußen abgesehn hatte, künstlich gesucht in dem Namen
Hohenzollern, welcher an sich für Frankreich nichts Bedrohlicheres
hatte als jeder andre deutsche NDame. Im Gegentheil konnte man
in Spanien sowohl als in Deutschland annehmen, daß der Prinz
Leopold wegen seiner persönlichen und Familienbeziehungen in Paris
eher persona grata sein werde als mancher andre deutsche Prinz.
Ich erinnere mich, daß ich in der Nacht nach der Schlacht von
Sedan in tiefer Finsterniß mit einer Anzahl unfrer Offiziere nach
der Rundfahrt des Königs um Sedan auf dem Wege nach Donchery
ritt und auf Befragen, ich weiß nicht welches Begleiters, die Vor-
bereitung zu diesem Kriege besprach und dabei erwähnte, daß ich
geglaubt hätte, der Prinz Leopold werde dem Kaiser Napoleon
kein unerwünschter Nachbar in Spanien sein und seinen Weg über
Paris nach Madrid nehmen, um dort die Fühlung mit der kaiser-
lich französischen Politik zu gewinnen, die zu den Vorbedingungen