Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

82 Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Emser Depesche. 
Eingriffs erwehren würde. Nachdem später die Sache die Wendung 
genommen hatte, daß Frankreich im Sinne seines Eingriffs in die 
spanische Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige 
Tage lang erwartet, daß die spanische Kriegserklärung gegen Frank- 
reich der französischen gegen uns folgen werde. Ich war nicht 
darauf gefaßt, daß eine selbstbewußte Nation wie die spanische Ge- 
wehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zusehn werde, wie die 
Deutschen sich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit 
und freie Königswahl gegen Frankreich schlugen. Das spanische 
Ehrgefühl, das sich in der Karolinen-Frage so empfindlich anstellte, 
ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrscheinlich sind in beiden 
Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der 
republikanischen Parteien entscheidend gewesen. 
Von Seiten unsres Auswärtigen Amtes waren die ersten schon 
unberechtigten Anfragen Frankreichs über die spanische Thron- 
candidatur am 4. Juli der Wahrheit entsprechend in der aus- 
weichenden Art beantwortet worden, daß das Ministerium nichts 
von der Sache wisse. Es traf das insofern zu, als die Frage der 
Annahme der Wahl durch den Prinzen Leopold von Sr. Majestät 
lediglich als Familiensache behandelt worden war, die weder 
Preußen noch den Norddeutschen Bund etwas anging, bei der es 
sich nur um die persönliche Beziehung des Kriegsherrn zu einem 
deutschen Offizier und des Hauptes nicht der Kgl. Preußischen 
sondern der Hohenzollernschen Gesammtfamilie zu den Trägern 
des Namens Hohenzollern handelte. 
Irn Frankreich aber suchte man nach einem Kriegsfalle gegen 
Preußen, der möglichst frei von national-deutscher Färbung wäre, 
und glaubte einen solchen auf dynastischem Gebiete in dem Auftreten 
eines spanischen Thronprätendenten des Namens Hohenzollern ge- 
funden zu haben. Dabei war die Ueberschätzung der militärischen 
Ueberlegenheit Frankreichs und die Unterschätzung des nationalen 
Sinnes in Deutschland wohl die Hauptursache, daß man die Halt- 
barkeit dieses Kriegsvorwandes nicht mit Ehrlichleit und nicht mit
	        
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