Mißgunst der Mächte. Indemnität. Allgemeines Wahlrecht. 105
Massen gegeben worden ist. Fürst Bismarck hält auch noch
in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ dafür, daß das all—
gemeine Wahlrecht, sobald nur die Heimlichkeit beseitigt werde,
ein nicht bloß theoretisch, sondern auch praktisch berechtigtes
Prinzip sei. Es gewährt den Begehrlichen und den Besitzen-
den zwar gleiches Recht, aber die Oeffentlichkeit der Wahl
würde gegen die unter den Massen wirksame Rhetorik ge-
schickter und ehrgeiziger Führer ein Gegengewicht schaffen in
dem Einflusse der Gebildeten und Besitzenden auf die Minder-
gebildeten und Abhängigen. Ein Staatswesen, dessen Re-
gierung in die Hände der Begehrlichen, der novarum rerum
cupici, und der Redner fällt, „wird stets zu einer Unruhe
der Entwickelung verurtheilt sein, der so gewichtige Massen,
wie staatliche Gemeinwesen sind, nicht folgen können, ohne in
ihrem Organismus geschädigt zu werden“. Es wird in den
Wirbel des französischen Kreislaufes gerathen, der von der
Monarchie durch alle Stadien der republikanischen Entwicke-
lung hindurch zu Dictatur, Gewaltherrschaft und Absolutismus
zurückführt. Den Absolutismus hält Fürst Bismarck, theo-
retisch betrachtet, wegen der ihm eigenen Stetigkeit für die
ideale Verfassung für europäische Staatsgebilde, „wenn der
König und seine Beamten nicht Menschen blieben wie jeder
Andere, denen es nicht gegeben ist, mit übermenschlicher Sach-
kunde, Einsicht und Gerechtigkeit zu regieren“. Da auch die
einsichtigsten und wohlwollendsten Monarchen menschlichen
Schwächen und Unvollkommenheiten unterliegen, so bedarf
auch „der idealste Monarch, wenn er nicht in seinem Idealis-
mus gemeinschädlich werden soll“, der Kritik, um sich an deren
Stacheln zurechtzufinden, „wenn er den Weg zu verlieren Ge-
fahr läuft.“ Diese Kritik aber kann nur durch eine freie Presse
und durch Parlamente im modernen Sinne geübt werden;
nur dürfen beide Corrective ihre Wirkung nicht durch Miß-
brauch abstumpfen und schließlich verlieren. Der Regierung
liegt die Verpflichtung ob, Presse und Parlamente in den-
jenigen Schranken zu halten, die die Rücksicht auf das Staats-
wohl vorschreibt. Sie bedarf in diesem Kampfe eines hohen
Maßes politischen Tactes: ein Zuviel würde die dem Lande