Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

122 XIII. Emser Depesche. Begründung des Deutschen Reichs. 
englische Einwirkungen zurück, die durch Vermittelung hoher 
Damen in Berlin an maßgebender Stelle zur Geltung gebracht 
wurden und im Wesentlichen in der Anschauung gipfelten, 
daß aus Menschlichkeitsrücksichten dem „Mekka der Civilisation“ 
die zerstörenden Wirkungen einer Beschießung erspart bleiben 
müßten. Aus Humanitätsrücksichten für die hungernden Pariser 
ließ man zur selben Zeit, da die schweren Geschütze aus Mangel 
an Eisenbahnmaterial nicht herangeschafft werden konnten, 800, 
nach andern 1500 Achsen mit Lebensmitteln festlegen, die bei 
der Uebergabe der Stadt den Franzosen überlassen werden 
sollten, nachmals aber von ihnen verschmäht wurden. Die 
deutschen Truppen verbrauchten dann mit Widerstreben den 
durch lange Lagerung ranzig gewordenen Speck. 
Die Frucht des Krieges wurde die Erneuerung des 
Kaisertitels, die Begründung eines alle deutschen Staaten um- 
fassenden Deutschen Reiches auf föderativer Grundlage. Bismarck 
kannte den Zauber, den der Name des Kaisers auf deutsche Herzen 
in Erinnerung an frühere Größe übte, und hielt die Annahme 
des Titels durch den König von Preußen bei Erweiterung des 
Norddeutschen Bundes für ein politisches Bedürfniß. König 
Wilhelm dagegen widerstrebte einem Titel, den er gering- 
schätzig als „Charaktermajor“ bezeichnete, und hatte in seinem 
starken dynastischen Gefühle vielmehr den Wunsch, die hohe 
Bedeutung des preußischen Königthums vor der Welt zur 
Geltung zu bringen. Der Kronprinz stand unter dem Einflusse 
„politischer Phantasten", die von der Annahme des Kaisertitels 
die Rückkehr zur Politik „des römischen Kaiserthums“ mit 
seiner antinationalen Richtung befürchteten, und begeisterte sich 
für den Titel eines „Königs der Deutschen“ für den bisherigen 
König von Preußen, dem dann die übrigen deutschen Fürsten 
unterthan sein sollten, die Könige unter Ablegung des könig- 
lichen Titels, den sie gegen den herzoglichen eintauschen sollten. 
Gegen die Abneigung des Königs, wie gegen die auf eine un- 
richtige Schätzung der politischen Realitäten gegründete An- 
schauung des Kronprinzen hatte Bismarck einen schweren Kampf 
zu bestehen. Es ist fraglich, ob er in diesem Kampfe siegreich 
geblieben wäre und die deutsche Einheit unter Dach gebracht
	        
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