70 K. Das dynastische Element in Deutschland. Conflictsministerium.
fertigen Heere. Denn deutscher Patriotismus ist von anderer
Art als der Patriotismus anderer Nationen. Er bedarf, um
thätig und wirksam zu werden, der Vermittelung dynastischer
Anhänglichkeit; unabhängig von letzterer kommt er praktisch
nur in seltenen Fällen zur Hebung, wenn auch theoretisch
täglich, in Parlamenten, Zeitungen und Versammlungen. Fürst
Bismarck führt diesen Gedanken weiter aus, und wer die
Entwickelung der deutschen Geschichte kennt, wird um Beweise
für die Richtigkeit seiner Behauptungen nicht verlegen sein.
Wir Deutsche sind ausgeprägte Particularisten; unser Patriotis-
mus trägt immer in erster Linie die Farbe des Staates, dem
wir durch die Geburt angehören, und die Farbe der Dynastie,
die über uns herrscht. Die Anhänglichkeit an die Dynastie
erweist sich bei uns stärker als das Stammesgefühl, stärker
als das national-deutsche Bewußtsein. Das bayerische Volk
setzt sich aus Bruchstücken verschiedener Stämme zusammen,
aus Bajuvaren, Schwaben, Alemannen und Mainfranken, aber
Alle nennen sich mit Genugthuung Bayern, weil sie durch
eine gemeinschaftliche Dynastie verbunden sind. So ist es auch
anderwärts in Deutschland: die deutsche Vaterlandsliebe bedarf
eines Fürsten, auf den sich ihre Anhänglichkeit concentrirt.
Würden sämmtliche deutsche Dynastien plötzlich beseitigt, so
wäre es wahrscheinlich vorüber mit der Existenz einer selb-
ständigen deutschen Nation; in den Reibungen europäischer
Politik würden die Deutschen an ihrem Nationalgefühl keinen
Halt finden. Und nicht einmal die bisher in staatlichem Ver-
bande vereinigten deutschen Gebietstheile würden zusammen-
halten, wenn man sich die Dynastien verschwunden denkt.
Dieses Vorwiegen der dynastischen Anhänglichkeit und die Un-
entbehrlichkeit einer Dynastie als Bindemittel für das Zu-
sammenhalten eines bestimmten Bruchtheiles der Nation unter
dem Namen der Dynastie ist eine specifisch reichsdeutsche Eigen-
thümlichkeit, kein anderes europäisches Volk bedarf für seinen
Patriotismus und für sein Nationalgefühl einer solchen Ver-
mittelung. Spanier, Franzosen, Italiener, Polen, Ungarn
würden auch ohne Dynastie sich in ihrer nationalen Eigenart
fühlen und zusammenhalten; die Deutschen aber würden diesen