Rechbergs Sturz. Werth der österreichischen Freundschaft. 85
Ministerium Schmerling kam in Wien eine Richtung zur Herrschaft,
die der Fortdauer der dualistischen Politik nicht günstig war.
An die Erzählung dieser Dinge knüpft Fürst Bismarck
eine Erörterung über den fragwürdigen Werth der öster-
reichischen Freundschaft in der kurzen Periode des freundlichen
Dualismus, die auch für die gegenwärtigen Beziehungen der
beiden verbündeten Reiche des Interesses nicht entbehrt. Ich
gebe sie in Bismarcks Worten: „Der Kaiser Franz Joseph ist
eine ehrliche Natur, aber das österreichisch-ungarische Staats-
schiff ist von so eigenthümlicher Zusammensetzung, daß seine
Schwankungen, denen der Monarch seine Haltung an Bord
anbequemen muß, sich kaum im Voraus berechnen lassen. Die
centrifugalen Einflüsse der einzelnen Nationalitäten, das In-
einandergreifen der vitalen Interessen, die Oesterreich nach
der deutschen, der italienischen, der orientalischen und der
polnischen Seite hin gleichzeitig zu vertreten hat, die Unlenk-
samkeit des ungarischen Nationalgeistes und vor allem die
Unberechenbarkeit, mit der beichtväterliche Einflüsse die politischen
Entschließungen kreuzen, legen jedem Bundesgenossen Oester-
reichs die Pflicht auf, vorsichtig zu sein und die Interessen
der eigenen Unterthanen nicht ausschließlich von der öster-
reichischen Politik abhängig zu machen. Der Ruf der Stabilität,
den die letztere unter dem langjährigen Regimente Metternichs
gewonnen hatte, ist nach der Zusammensetzung der Habs-
burgischen Monarchie und nach den bewegenden Kräften inner-
halb derselben nicht haltbar, mit der Politik des Wiener Cabinets
vor der Metternichschen Periode gar nicht, und nach derselben
nicht durchweg in Uebereinstimmung. Sind aber die Rück-
wirkungen der wechselnden Ereignisse und Situationen auf die
Entschließungen des Wiener Cabinets für die Dauer unberechen-
bar, so ist es auch für jeden Bundesgenossen Oesterreichs geboten,
auf die Pflege von Beziehungen, aus denen sich nöthigenfalls andere
Combinationen entwickeln lassen,) nicht absolut zu verzichten.“
Das 18. Capitel (König Ludwig II. von Bayern),
das den Schluß des ersten Bandes bildet, bringt eine kurze
1) Man denke an den Sondervertrag mit Rußland von 1887 neben
dem deutsch-österreichischen Defensivbund.