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einer formell ordnungsmäßigen Urkunde die Führung der
Stimmen übertragen worden war, erstreckte sich die Legiti—
mationsprüfung vor allem auch auf die das Mandat des be—
treffenden Abgeordneten begründenden vielseitigen Vorgänge
der Wahl. Die letztere war daher, wie im folgenden ausgeführt
werden wird, ungleich umfangreicher und langwieriger.
Der Art. 27 der RV. besagte: „Der Reichstag prüft die
Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber.“ Die
gesamte Prüfung zerfiel also im Reichstage zunächst in zwei
scharf von einander zu sondernde Tätigkeiten, die hier die
Legitimationsprüfung im engeren Sinne und die Wahl-
prüfung genannt werden sollen!). Mit verschwindenden Aus-
nahmen.) ist diese Unterscheidung in der Literatur über diese
Frage nicht gemacht worden, trotzdem der Reichstag selbst
diesen Unterschied erkannt und eine Trennung vorgenommen
hats). Noch in der Geschäftsordnung von 1868 waren aller-
dings diese beiden Tätigkeiten nicht scharf gesondert. Dies
geschah erst in der Sitzung vom 26. Januar 1876 dadurch, daß
den Abteilungen die Vorprüfung der Wahl abgenommen und
diese einer besonderen Wahlprüfungskommission übertragen
wurde, so daß also den Abteilungen nur noch die Legitimations-
prüfung im engeren Sinne verblieb.
B. Die Tegitimationsprüfung im engeren Sinne.
1. Das Verfahren.
Die Legitimationsprüfung im engeren Sinne war weiter
nichts als ein Beurkundungsakt, durch welchen festgestellt
wurde, daß derjenige, welcher sich im Reichstag mit einer for-
mellen Bescheinigung richtiger Wahl einstellte, die Eigenschaften
der Wählbarkeit dauernd besaß und daß nicht in seiner Person
irgend ein sonstiger Grund eingetreten war, den man in der
1) äbnlich Leser S. 132.
2) z. B. Jellinek, S. 168ff.
3) Vgl. biermit Hatschek S. 491ff.