Full text: II. Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen. Aus Bismarcks Briefwechsel. (6)

71. 
Otto v. Manteuffel an Bismarck. 
Ew. Hochwohlgeboren 
1854 habe ich schon längst schreiben wollen, ohne jedoch dazu Zeit 
6. 1. finden zu können. Auch heute werden nur wenige Zeilen Ihnen 
die Ueberzeugung gewähren, daß ich Ihrer in alter Freund- 
schaft gedenke. " 
„Ex oriente lux“ sagt Prokesch; dieß Licht ist aber vor der 
Hand ziemlich versteckt, wenigstens sehe ich dort nur Finsterniß 
und die Möglichkeit, daß sich von dort ein feuerspeiender Berg 
entwickelt. Es spielen bei der Sache — und das ist meine 
einzige Hoffnung — viele vorgefaßte Meinungen und gegen- 
seitige Exaltationen mit, welche sich doch endlich einmal ver- 
fliegen müssen. Ich für meine Person bin fest überzeugt, daß 
der Kaiser') persönlich nicht den Krieg und keine Eroberung will. 
Weniger fest ist meine früher auch vorhandene Ueberzeugung, daß 
England nicht den Krieg will. Nach der Affaire von Sinope?) 
scheint es den Engländern damit wirklich Ernst zu sein. Im All- 
gemeinen ziehen sie aber doch wohl den Frieden vor. Frankreich 
ist jetzt merklich kühler als England, Baraguay d'Hilliers) 
sagt ganz laut in Constantinopel, daß Frankreich nicht den 
Beruf habe, die Perser zu Gunsten der Indischen Besitzungen 
Englands zu bekriegen, und Drouyn de L'Huys #) nimmt auch 
in seinen Aeußerungen viel mehr einen elegischen als einen 
dithyrambischen Ton an. Die miserabelste Rolle bei der Sache 
spielt jeden Falls Oesterreich, welches wie eine Maus in der 
*) Von Rußland. 
*) Seeschlacht, 30. Nov. 1853, in welcher der russische Admiral 
Nakhimoff ein türkisches Geschwader unter Osman Pascha schlug. 
cnss) Französischer General und Botschafter in Constantinopel. 
1) Seit 28. Juli 1852 Nachfolger Turgots als Minister der aus- 
wärtigen Angelegenheiten.
	        
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