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85.
Otto v. Manteuffel an Bismarck.
Ew. Hochwohlgeboren
danke ich verbindlichst für das geehrte Schreiben von gestern*). 1854
Daß die Angelegenheit des Bündnisses ihren langsamen Weg 27.5.
geht, dagegen ist nichts zu sagen; wir können beim Lapsus tem-
poris wohl nur gewinnen, und ich würde der deutschen Gründ-
lichkeit und der mittelstaatlichen Würde sehr dankbar sein, wenn
es ihnen gelänge, die Schwebe so lange zu halten, bis das Eis
in der Ostsee und der Schnee auf dem Balkan ihren Feldzug
begönnen. Ich fürchte nur, daß die Ereignisse sich nicht
bei diesen Germanismen auphalten, sondern darüber zur Tages-
Ordnung übergehen werden.
Aus Wien habe ich übrigens von Graf Alvensleben gute
Berichte. Der Kaiser hat sich obwohl sehr bedenklich gegen
Rußland, doch mäßig und durchaus nicht westmächtlich aus-
gesprochen, und auch Graf Buol hat nach Weisungen des Kaisers
sein früheres gereiztes Wesen fallen lassen und mit seinem
Herrn mehr die Selbstständigkeit des Bündnisses accentuirt.
Auch aus andern Symptomen entnehme ich, daß es keine
Redens-Art ist, wenn Oesterreich sagt, es vermeide den Krieg
mit Rußland. Ich weiß aus sicherer Quelle, daß Herr Hübner
in Paris mit Veröffentlichung von Documenten droht, welche
beweisen sollen, daß Oesterreich längst losgeschlagen hätte, wenn
Preußen nicht als Hemmschuh gedient hätte. Welche Documente
das sein sollen, weiß ich zwar nicht, aber aus der Sache geht
hervor, daß Oesterreich den Druck der Westmächte auf uns ab-
leiten will, auch fängt der Nimbus deutscher Primats-Opfer-
willigkeit einiger Maaßen an zu verbleichen, und man scheint,
*) Preußen im Bundestag 1II, No. 12 S. 20 f