90 Viertes Kapitel: Diplomat.
Freundes J. L. Motley an seine Frau#, verlief folgender-
maßen. Nachdem ich auf die plötzliche Frage des Ministers
Manteuffel, ob ich die Stelle eines Bundesgesandten annehmen
wolle, einfach mit Ja geantwortet hatte, ließ der König mich
zu sich bescheiden und sagte: „Sie haben viel Muth, daß Sie
so ohne Weitres ein Ihnen fremdes Amt übernehmen.“ Ich
erwiderte: „Der Muth ist ganz auf Seiten Eurer Majestät,
wenn Sie mir eine solche Stellung anvertraun, indessen sind
Eure Majestät ja nicht gebunden, die Ernennung aufrecht zu
erhalten, sobald sie sich nicht bewährt. Ich selbst kann keine
Gewißheit darüber haben, ob die Aufgabe meine Fähigkeit
übersteigt, ehe ich ihr näher getreten bin. Wenn ich mich der-
selben nicht gewachsen finde, so werde ich der erste sein, meine
Abberufung zu erbitten. Ich habe den Muth zu gehorchen,
wenn Eure Majestät den haben zu befehlen.“ Worauf der
König: „Dann wollen wir die Sache versuchen.“
Am 11. Mai 1851 traf ich in Frankfurt ein. Herr von
Rochow mit weniger Ehrgeiz als Liebe zum Behagen, des
Klimas und des anstrengenden Hoflebens in Petersburg müde,
hätte lieber den Frankfurter Posten, in dem er alle seine
Wünsche befriedigt fand, dauernd behalten, arbeitete in Berlin
dafür, daß ich zum Gesandten in Darmstadt mit gleichzeitiger
Accreditirung bei dem Herzog von Nassau und der Stadt
Frankfurt ernannt werde, und wäre vielleicht auch nicht ab-
geneigt gewesen, mir den Petersburger Posten im Tausch zu
überlassen: er liebte das Leben am Rhein und den Ver-
kehr mit den deutschen Höfen. Seine Bemühungen hatten in-
dessen keinen Erfolg. Unter dem 11. Juni schrieb mir Herr
von Manteuffel, daß der König meine Ernennung zum Bundes-
tagsgesandten genehmigt habe :). „Es versteht sich dabei von
1) S. Motley's Brief vom 27. Juli 1855, Briefwechsel von J. L. Mot-
ley, übersetzt von A. Eltze (Berlin, O. Janke. 1890) I 175.
*) Das Schreiben ist vollständig im Anhang zu den Gedanken und
Erinnerungen mitgetheilt, Bd. II 7 ff.