Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Le monsieur décoré. Bismarck und der Tanz. 95 
  
gekommnen Tänzer für den Cotillon zu suchen und, da ich 
ihn nicht fand, zu ersetzen. Nachdem ich die erste Schwindel- 
besorgniß auf dem glatten Parket des Weißen Saales über- 
wunden hatte, tanzte ich mit Vergnügen und fand nachher einen 
so gesunden Schlaf, wie ich ihn lange nicht genossen hatte. In 
Frankfurt tanzte alle Welt, voran der 65jährige französische 
Gesandte Monsieur Marquis de Tallenay, nach Proclamirung 
des Kaiserthums in Frankreich: Monsieur le Marquis de Tal- 
lenay, und ich fand mich leicht in diese Gewohnheit, obschon 
es mir am Bunde nicht an Zeit zum Gehn und Reiten fehlte. 
Auch in Berlin, als ich Minister geworden war, versagte ich 
mich nicht, wenn ich von befreundeten Damen aufgefordert oder 
von Prinzessinnen zu einem Tanze befohlen wurde, bekam aber 
stets sarkastische Bemerkungen des Königs darüber zu hören, 
der mir zum Beispiel sagte: „Man macht es mir zum Vor- 
wurf, einen leichtsinnigen Minister gewählt zu haben. Sie 
sollten den Eindruck nicht dadurch verstärken, daß Sie tanzen.“ 
Den Prinzessinnen wurde dann untersagt, mich zum Tänzer 
zu wählen. Auch die andauernde Tanzfähigkeit des Herrn 
von Keudell!) hat mir, wenn es sich um seine Befördrung 
handelte, bei Seiner Majestät Schwierigkeit gemacht. Es ent- 
sprach das der bescheidnen Natur des Kaisers, der seine Würde 
auch durch Vermeiden unnöthiger Aeußerlichkeiten, welche die 
Kritik herausfordern könnten, zu wahren gewöhnt war. Ein 
tanzender Staatsmann fand in seinen Vorstellungen nur in 
fürstlichen Ehrenquadrillen Platz; im raschen Walzer verlor er 
bei ihm an Vertraun auf die Weisheit seiner Rathschläge. 
Nachdem ich mich auf dem Frankfurter Terrain zu Hause 
1) Robert v. Keudell, 1863 als Hilfsarbeiter in das Ministerium des 
Auswärtigen berufen, gehörte bis zum Jahre 1872 zur nächsten amt- 
lichen Umgebung Bismarcks, in dessen Haus er viel verkehrte. Vgl. 
R. v. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck. Erinnerungen aus den 
Jahren 1846—1872 (Berlin und Stuttgart, W. Spemann 190 1).
	        
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