102 Viertes Kapitel: Diplomat.
gehorsamer und verantwortlicher Minister zu sein, war damals
größer als unter Wilhelm I.
Im September 1853 wurde mir in Hanover die Aussicht,
Minister zu werden, eröffnet. Nach Beendigung meiner Bade-
kur 0 in Norderney wurde ich von dem eben aus dem Mini-
sterium Schele ausgetretnen Minister Bacmeister sondirt, ob
ich Minister des Königs Georg werden wolle. Ich sprach mich
dahin aus, daß ich in der auswärtigen Politik Hanover nur
dienen könne, wenn der König vollständig Hand in Hand mit
Preußen gehn wolle; ich könnte mein Preußenthum nicht aus-
ziehn wie einen Rock. Auf dem Wege zu den Meinigen nach
Villeneuve am Genfer See, den ich von Norderney über Hanover
nahm, hatte ich mehre Conferenzen mit dem Könige. Eine
derselben fand statt in einem, zwischen seinem Schlafzimmer
und dem der Königin gelegnen Cabinet im Erdgeschoß des
Schlosses. Der König wollte, daß die Thatsache unfrer Be-
sprechung nicht bekannt werde, hatte mich aber um fünf Uhr
zur Tafel befohlen. Er kam auf die Frage, ob ich sein Minister
werden wolle, nicht zurück, sondern verlangte nur von mir als
Sachkundigem in bundestäglichen Geschäften einen Vortrag
über die Art und Weise, wie die Verfassung von 1848 mit
Hülfe von Bundesbeschlüssen revidirt werden könne. Nachdem
ich meine Ansicht entwickelt hatte, verlangte er eine schriftliche
Redaction derselben und zwar auf der Stelle. Ich schrieb
also in der ungeduldigen Nachbarschaft des an demselben Tische
sitzenden Königs die Hauptzüge des Operationsplans nieder
unter den erschwerenden Umständen, die ein selten gebrauchtes
Schreibzeug bereitete: Tinte dick, Feder schlecht, Papier rauh,
Löschblatt nicht vorhanden; die von mir gelieferte vier Seiten
lange Staatsschrift mit ihren Tintenflecken war nicht als ein
1) Nach dem Briefe vom 5./77. Sept. 1853, Bismarck's Briefe an
seine Braut und Gattin S. 302, beabsichtigte Bismarck am 9. Sept. von
Norderney aufzubrechen, einen Tag in Hanover zu bleiben und am
11. oder 12. Sept. in Frankfurt, am folgenden Tag in Basel zu sein.