Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Urtheil Über Napoleon I. und III. Briefwechsel mit Gerlach. 179 
  
leben, der ich im Allgemeinen den Vorwurf mache, daß sie die 
Realitäten ignorirt. Sie gehn davon aus, daß ich einem 
vereinzelten Manne, der mir imponire, das Prinzip opfre. 
Ich lehne mich gegen Vorder= und Nachsatz auf. Der Mann 
imponirt mir durchaus nicht. Die Fähigkeit, Menschen zu 
bewundern, ist in mir nur mäßig ausgebildet, und les ist] 
vielmehr ein Fehler meines Auges, daß es schärfer für 
Schwächen als für Vorzüge ist. Wenn mein letzter Brief etwa 
ein lebhafteres Colorit hat, so bitte ich das mehr als rheto- 
risches Hülfsmittel zu betrachten, mit dem ich auf Sie habe 
wirken wollen. Was aber das von mir geopferte Prinzip 
betrifft, so kann ich mir das, was Sie damit meinen, concret 
nicht recht formuliren und bitte Sie, diesen Punkt in einer 
Antwort wieder aufzunehmen, da ich das Bedürfniß habe, 
mit Ihnen prinzipiell nicht auseinander zu gehn. Meinen 
Sie damit ein auf Frankreich und seine Legitimität 
anzuwendendes Prinzip, so gestehe ich allerdings, daß ich dieses 
meinem specifisch Preußischen Patriotismus voll- 
ständig unterordne; Frankreich interessirt mich nur insoweit, 
als es auf die Lage meines Vaterlandes reagirt, und wir 
können Politik nur mit dem Frankreich treiben, welches 
vorhanden ist, dieses aber aus den Combinationen nicht 
ausschließen. Ein legitimer Monarch wie Ludwig XIV. 
ist ein ebenso feindseliges Element wie Napoleon I., und wenn 
dessen jetziger Nachfolger heut auf den Gedanken käme, zu ab- 
diciren, um sich in die Muße des Privatlebens zurückzuziehn, 
so würde er uns garkeinen Gefallen damit thun, und Hein- 
rich V. würde nicht sein Nachfolger sein; auch wenn man ihn 
auf den vacanten und unverwehrten Thron hiaufsetzte, würde 
er sich nicht darauf behaupten. Ich kann als Romantiker eine 
Thräne für sein Geschick haben, als Diplomat würde ich sein 
Diener sein, wenn ich Franzose wäre, so aber zählt mir Frank- 
reich, ohne Rücksicht auf die jeweilige Person an seiner Spitze,
	        
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