264 Zehntes Kapitel: Petersburg.
daten hatte vertheilen lassen, das sogenannte Kulmer Kreuz.
Ich beglückwünschte den alten Soldaten, daß er nach 46 Jahren
noch so rüstig sei, und erhielt die Antwort, er würde noch jetzt,
wenn der Kaiser es erlaubte, den Krieg mitmachen. Ich fragte,
mit wem er dann gehn würde, mit Italien oder mit Oestreich,
worauf er stramm stehend mit Enthusiasmus erklärte: „Immer
gegen Oestreich.“ Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß
Oestreich doch bei Kulm unser und Rußlands Freund und
Italien unser Gegner gewesen sei, worauf er, immer in mili-
tärisch strammer Haltung und mit der lauten und weit hör-
baren Stimme, die der russische Soldat im Gespräch mit Offi-
zieren hat, antwortete: „Ein ehrlicher Feind ist besser als ein
falscher Freund.“ Diese unverfrorne Antwort begeisterte den
Fürsten Dolgoruki dergestalt, daß im nächsten Moment Ge-
neral und Unteroffizier in der Umarmung lagen und die herz-
lichsten Küsse auf beide Wangen austauschten. So war da-
mals bei General und Unteroffizier die russische Stimmung
gegen Oestreich.
Eine Erinnrung an den Ausflug nach Moskau ist der nach-
stehende Briefwechsel mit dem Fürsten Obolenstki.
Moscou, le 2 Juin 1859 7).
En visitant dernièrement les antiquités de Moscou, Votre
Excellence a porté une grande attention auxs monuments de
notre ancienne vie politigue et morale. Les vieils édifices du
Kremlin, les objets de la vie domestique des Tzars, les pré-
cieux manuscrits grecs de la bibliothéque des Patriarches de
Russie, — tout enfin a excite Sa curiosité éclairée. Les
remarques scientifques de V. E. au sujet de ces monuments
1) Das Datum des 2. Juni ist nach dem russischen Kalender zu
verstehen, es ist also der 12. Juni des Gregorianischen Kalenders. Bis-
marck verließ Petersburg am 5. Juni Mittags und stieg am 6. Juni
früh 8 Uhr im Hotel de France in Moskau ab. Er trat am 10. Juni
die Rückreise an.